(Interview geführt am 3. Juli 2020)
REWI: Die steirischen Gemeinderatswahlen 2020 konnten am vergangenen Sonntag zu Ende gebracht werden. Was ist Ihre Bilanz?
Klaus Poier: Die Verschiebung der für den 22. März 2020 angesetzten steirischen Gemeinderatswahlen war eine der ersten negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Demokratie. Das Wichtigste aus demokratiepolitischer Sicht ist wohl, dass diese Wahlen nun gut beendet werden konnten. Und es bleibt zu hoffen, dass in den nächsten Tagen auch keine Corona-Hotspots in Wahllokalen bemerkbar werden.
REWI: War es nicht problematisch, dass die Wahlen für Monate verschoben wurden und die alten Amtsträger viel länger als gewählt im Amt blieben?
Klaus Poier: Nach der durch den steirischen Landtag in seiner Sondersitzung am 17. März 2020 beschlossenen Novelle konnte der Wahltag binnen sechs Monaten nachgeholt werden, ansonsten wäre die gesamte Wahl zu wiederholen gewesen. Damit hatte man das Ziel verfolgt, die bereits erfolgten Wahlhandlungen – insbesondere waren bereits zigtausende Stimmen per Briefwahl bzw. am vorgezogenen Wahltag abgegeben worden – zu „retten“. Freilich wurde damit auch die Wahl sehr weit in die Länge gezogen. Wähler, die ihre Stimme schon abgegeben hatten, konnten auch nicht mehr auf neue Ereignisse reagieren. Aber es musste eben ein Kompromiss gemacht werden.
Dass Gemeinderäte länger als fünf Jahre im Amt blieben, ist nicht grundsätzlich ein Problem. Der oberösterreichische Landtag wird etwa nur alle sechs Jahre gewählt. Demokratiepolitisch ist es freilich problematisch, dass eine laufende Amtsperiode verlängert wird, allerdings muss umgekehrt auch zur Wahrung der Demokratie bzw. des Rechtsstaats sichergestellt werden, dass es immer amtierende Organe gibt. Wenn sich in Ausnahmezeiten eine Neubestellung verzögert, ist es daher nicht nur möglich, sondern sogar zwingend notwendig, eine Regelung wie die Verlängerung der Amtszeit vorzusehen.
REWI: Diskussionen gab es auch darüber, dass Wähler, die inzwischen 16 Jahre alt wurden, nicht wählen konnten.
Klaus Poier: Ja, dieses Problem war tatsächlich ein Wermutstropfen. Grundsätzlich ist jeder/jede wahlberechtigt, der/die am Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet hat. Da aber bereits Stimmen abgegeben worden waren und die Wahl nur verschoben und nicht neu durchgeführt wurde, blieben formal der alte Wahltag sowie die ursprünglichen Wählerverzeichnisse Grundlage der Wahl. Das bedeutet nicht nur, dass keine neuen Wähler hinzukamen, sondern dass auch inzwischen Verstorbene im Wählerregister verblieben und bereits abgegebene Stimmen solcher Personen auch mitgezählt wurden. Das mag seltsam anmuten, aus rechtlicher Sicht war diese Vorgangsweise aber wohl aufgrund der Verschiebung der Wahl sachlich gerechtfertigt und der plausiblere Weg.
REWI: Konnten die Bürgermeister bei dieser Wahl von der Corona-Situation profitieren?
Klaus Poier: Tatsächlich sieht man an den Wahlergebnissen, dass in vielen Fällen Bürgermeister gestärkt wurden, sowohl auf Seiten der ÖVP wie auf Seiten der SPÖ. Dies mag damit zusammenhängen, dass Regierende in Krisensituationen grundsätzlich eher im Vordergrund stehen bzw. es Oppositionsparteien schwerer haben, mit ihren Positionen in der öffentlichen Diskussion durchzudringen. Allerdings hatten die Bürgermeister auch das Problem in der Pandemie, dass sie ihr übliches Wahlkampfverhalten – nämlich von Tür zu Tür zu gehen und eine Hand nach der anderen zu schütteln – zumindest nicht in gleichem Ausmaß wie üblich an den Tag legen konnten. Der überdurchschnittliche Zulauf zu Bürgermeister-Parteien bei dieser Wahl dürfte daher auch mit grundsätzlichen aktuellen politischen Entwicklungen zusammenhängen, nämlich dass insbesondere die Protestpartei FPÖ, die 2015 bei der Gemeinderatswahl ein sehr gutes Ergebnis erzielt hatte, diesmal nach der Ibiza-Affäre ihr Potenzial weit weniger gut ausschöpfen konnte.
REWI: Wie ist das Ergebnis aus parteipolitischer Sicht zu beurteilen?
Klaus Poier: Die ÖVP kann als Wahlsieger bezeichnet werden. Mit dem steiermarkweit zweitbesten Ergebnis seit 1945 konnte sie ihren allgemeinen positiven Trend auch bei dieser Wahl bestätigen. Der SPÖ gelang nach den schweren Verlusten bei der Nationalratswahl und der Landtagswahl 2019 ein leichter Zugewinn. Profitiert hat sie dabei vor allem von den Verlusten der FPÖ, aber auch davon, dass die Grünen einen weit geringeren Höhenflug als zuletzt hatten. Die FPÖ blieb trotz der Verluste über ihrem Wahlergebnis von 2010, was vor allem auch daran liegt, dass sie in ca. 80 % der Gemeinden kandidierte. Die Grünen hingegen konnten die Anzahl der Kandidaturen nur knapp auf etwa ein Drittel der Gemeinden steigern, was angesichts des allgemeinen Grün-Trends der letzten Zeit doch überraschend war. Dies zeigt, dass es den Grünen bislang nicht gelungen ist, eine flächendeckende Verankerung auf lokaler Ebene zu erreichen.