REWI: Was genau ist die Europäische Ermittlungsanordnung und wie funktioniert sie?
Lara Unger: Die Europäische Ermittlungsanordnung (kurz: EEA) dient der grenzüberschreitenden Beweiserhebung in Strafverfahren und ersetzt innerhalb der EU das fragmentierte System der Rechtshilfe. Durch Erlass einer EEA kann eine österreichische Behörde (zB ein/e Richter/in oder ein/e Staatsanwält/in) ihren Amtskolleg/innen in einem anderen Mitgliedstaat anordnen, dort Beweise aufzunehmen. Wenn beispielsweise eine kriminelle Organisation auf österreichischem Territorium an Drogenhandel und Geldwäsche beteiligt ist, sich die Organisation aber in Deutschland versteckt hält, können die österreichischen Behörden ihre deutschen Amtskollegen durch Ausstellung einer EEA, um das Erheben von Beweisen ersuchen (z.B. das Durchführen einer Hausdurchsuchung auf deutschem Gebiet). Die deutschen Vollstreckungsbehörden sind verpflichtet, diese EEA anzuerkennen und die angeordneten Ermittlungsmaßnahmen zu vollstrecken, als wären sie von einer nationalen Behörde angeordnet worden (außer es liegen Ablehnungsgründe vor).
Das EEA-Verfahren umfasst fünf Phasen: Die Ausstellung einer EEA durch die Anordnungsbehörde, die Übermittlung auf dem direkten Geschäftsweg zur Vollstreckungsbehörde, die Anerkennung und dann die Vollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde und das Übermitteln der Beweisergebnisse.
Der große Vorteil an der EEA ist, dass es dadurch ein einheitliches Verfahren in allen Mitgliedstaaten gibt, welches durch die Verwendung eines vorgegebenen Formulars und strikte Zeitlimits sehr einfach und klar zu handhaben ist.
REWI: Bei welchen Fällen gelangt sie in der Praxis häufig zum Einsatz?
Lara Unger: Die EEA kann grundsätzlich für alle national bestehenden Ermittlungsmaßnahmen angeordnet werden. Falls eine entsprechende Ermittlungsmaßnahme im Vollstreckungsstaat nicht besteht, kann die Vollstreckungsbehörde auch auf eine andere Ermittlungsmaßnahme, die zur Erhebung der Beweise tauglich ist, zurückgreifen. In der Praxis kommt sie häufig für Hausdurchsuchungen, die Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten, das Ermitteln von Informationen über Bankkonten und Bankgeschäfte oder die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs zur Anwendung.
REWI: Funktioniert die Ermittlungsanordnung reibungslos? Gibt es problematische Aspekte?
Lara Unger: In Österreich funktioniert die EEA in der Praxis größtenteils reibungslos, was daran liegt, dass in den größeren Staatsanwaltschaften Sonderreferate für die Vollstreckung von ausländischen EEAs eingerichtet sind. Die zuständigen Staatsanwält/innen haben also sehr viel praktische Erfahrung und Expertise. In anderen Mitgliedsstaaten gibt es da teilweise noch Verbesserungsbedarf. Ein praktisches Problem ist beispielsweise, dass die anordnenden Behörden den Sachverhalt nicht genau genug beschreiben, sodass es für die vollstreckenden Behörden oft schwierig ist, zu prüfen, ob die angeordnete Ermittlungsmaßnahme in einem solchen Fall vollstreckt werden kann und ob die beiderseitige Strafbarkeit vorliegt. Offene Fragen gibt es auch noch hinsichtlich des Umfangs des grundrechtlichen Ablehnungsgrundes oder der Handhabung von Beweisverwertungsverboten. Diesbezüglich stellt sich beispielsweise die Frage, inwieweit eine anordnende Behörde, die von der vollstreckenden Behörde gesammelten und bereits übermittelnden Beweise noch verwerten darf, wenn die EEA im Vollstreckungsstaat vom Beschuldigten erfolgreich angefochten wurde.
REWI: Rechtliche Grundlage ist die Richtlinie 2014/41/EU. Wurde diese bereits von allen EU-Mitgliedern umgesetzt?
Lara Unger: Die Richtlinie sollte eigentlich bis 22. Mai 2017 in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. In vielen Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich, gab es allerdings lange Verzögerungen (bis zu einem Jahr). Inzwischen ist sie in allen Mitgliedstaaten umgesetzt, mit der Ausnahme von Dänemark und Irland, die sich nicht an der Annahme der Richtlinie beteiligten und somit nicht durch sie gebunden sind.
REWI: Sie arbeiten in einem EU-Projekt zur Europäischen Ermittlungsanordnung mit. Was hat sich das Projekt sich zum Ziel gesetzt? Gibt es bereits erste Ergebnisse?
Lara Unger: Als das Projekt „European Investigation Order - Legal Analysis and Practical Dilemmas of International Cooperation“ (EIO-LAPD) 2019 gestartet hat, gab es noch kaum Erfahrungen mit der EEA, da die Richtlinie in vielen Mitgliedstaaten erst kurz zuvor umgesetzt wurde. Eines der Hauptziele von EIO-LAPD war und ist es also, über die EEA zu forschen, Wissen anzusammeln und die Umsetzung und Handhabung in verschiedenen Mitgliedsstaaten zu vergleichen. Wir haben also bereits jetzt eine detaillierte Analyse der EEA in sechs verschiedenen Mitgliedsstaaten vorgenommen und einen vergleichenden internationalen Report verfasst, der die theoretischen und praktischen Probleme der EEA aufzuzeigen und zu lösen versucht. Diese aufgedeckten Probleme werden auch an die Kommission berichtet, sodass diese im Falle einer zukünftigen Novellierung der Richtlinie berücksichtigt werden können. Ein weiteres Hauptziel des Projektes ist, Praktiker/innen in der Anwendung der EEA zu schulen und „Best Practice“-Modelle aus verschiedenen Mitgliedstaaten zu sammeln und zu vergleichen. Im Juli hat in Zusammenarbeit mit dem OLG Graz, ein Capacity Building Seminar stattgefunden, im Zuge dessen Praktiker/innen hinsichtlich der Anwendung der EEA geschult wurden. In naher Zukunft werden auch ein Sammelband mit Forschungsbeiträgen rund um die EEA und Guidelines für die Anwendung der EEA in der Praxis erscheinen.
REWI: Wie läuft im Strafrecht eine Zusammenarbeit mit Staaten außerhalb der EU ab? Gibt es mit der Ermittlungsanordnung vergleichbare Instrumente?
Lara Unger: Außerhalb der EU läuft die Zusammenarbeit weiterhin über klassische Rechtshilfeersuchen ab. Die Regelungen der Rechtshilfe sind sehr fragmentarisch, neben dem Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz, können nämlich auch multi- und bilaterale völkerrechtliche Verträge (wie z.B. der Vertrag zwischen den Regierungen Österreichs und der USA über die Rechtshilfe in Strafsachen) und Übereinkommen des Europarats (wie z.B. das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen) einschlägig sein – es gibt also kein einheitliches Verfahren. Im Zuge solcher Rechtshilfeersuchen, können andere Staaten natürlich auch um Beweiserhebungen ersucht werden, die EEA vereinfacht und beschleunigt den transnationalen Austausch von Beweisen gegenüber der Rechtshilfe mit Staaten außerhalb der EU jedoch erheblich. Bei der EEA handelt es sich nämlich um ein einheitliches Verfahren, das bei allen Beweiserhebungen zur Anwendung kommt. Die Anordnung der EEA ist durch ein fixes Formular und durch die Möglichkeit über das Europäische Justizielle Netzwerk herauszufinden, an welche Behörde das Formular geschickt werden muss, sehr einfach. Auch die Anerkennung und Vollstreckung ist durch das Festlegen von restriktiven Ablehnungsgründen und Zeitlimits effektiv.
REWI: Rechtshilfeersuchen können oft dauern. Wie ist das bei der Europäischen Ermittlungsanordnung?
Lara Unger: Ein großer Vorteil der EEA ist, dass es strenge Fristen für die Anerkennung und die Vollstreckung der EEA gibt. Die Vollstreckungsbehörde muss in maximal 30 Tagen die Entscheidung, ob sie die ausländische EEA anerkennt und vollstrecken wird, treffen. Spätestens 90 Tage nach dieser Entscheidung ist die EEA dann auch tatsächlich zu vollstrecken. Auch in der Praxis können diese Zeitlimits in den meisten Fällen eingehalten werden. Durch die EEA hat sich die transnationale Beweiserhebung also beschleunigt.