(Interview geführt am 7. April 2020)
REWI: Herr Professor Eisenberger, wie sieht einer der profiliertesten Anwälte Österreichs die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Anwaltsstand?
Georg Eisenberger: Auch wir Anwälte sind Teil der Gesamtwirtschaft. Auch wir müssen Heimarbeit und berufliches Social Distancing erst lernen.
REWI: Und wirtschaftlich?
Georg Eisenberger: Wirtschaftswachstum führt in logischer Konsequenz zu mehr Arbeit auch für Anwälte. Umgekehrt sind Stagnation oder gar eine Depression für die Anwaltschaft als Gesamtes ein wirtschaftlicher Nachteil.
REWI: Wenn Sie sagen „für die Anwaltschaft als Gesamtes“, sprechen Sie an, dass es so wie in jedem Bereich der Wirtschaft auch hier „Krisengewinner“ gibt?
Georg Eisenberger: Natürlich. Es gibt Fachbereiche, die in Krisen stärker nachgefragt werden, wie beispielsweise Arbeitsrecht, Insolvenzrecht, Immobilienrecht oder Bankenrecht. Aber Spezialisierungen muss man sich über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte aufbauen und man kann nicht glaubwürdig von einem auf den anderen Tag umsatteln. Ich würde diese Spezialisten daher nicht als Krisengewinner im eigentlichen Sinn, sondern als wichtigen Teil zur Bewältigung der Krise bezeichnen und ich bezweifle, dass die Vorteile dieser kleinen Gruppe den Gesamtrückgang an anwaltlicher Arbeit auch nur annähernd abdecken kann.
REWI: Das Gros der Anwälte wird also die Krise mehr oder weniger stark spüren?
Georg Eisenberger: Ein (teilweise deutlicher) Umsatzrückgang ist wohl in den meisten Kanzleien im heurigen Jahr unvermeidlich. Aber auch bei uns gilt, dass rasche Reaktion auf eintretende Ereignisse und Flexibilität die Gefahren eines wirtschaftlichen Scheiterns stark reduzieren können. Größere Kanzleien können Personal in nachgefragtere Bereiche umschichten. Kleine Einheiten müssen ihren Mandanten auch in der Krise einen Mehrwert anbieten. Sie müssen versuchen, sich von den anderen Kanzleien abzuheben.
REWI: Können Sie ein Beispiel nennen?
Georg Eisenberger: Selbstverständlich. Ich selbst bin in einem Bereich tätig, der in Krisen regelmäßig mit starken Nachfragerückgängen zu kämpfen hat. Unternehmen sagen geplante Investitionsprojekte ab, im besten Fall verschieben sie diese auf einen Zeitpunkt nach der Krise. Da ist es wichtig, bei diesen Unternehmen weiterhin präsent zu sein, ohne aber aufdringlich zu wirken. Auch aus diesem Grund habe ich mit Beginn der Krise einen täglichen abendlichen Newsletter gestartet, mit dem ich meine Mandanten über die laufenden rechtlichen Corona-Entwicklungen des Tages informiere. Das ist unglaublich viel Arbeit, die im ersten Moment kein Einkommen generiert. Das hat aber nicht nur den Vorteil, dass ich bei meinen Mandanten im Gedächtnis bleibe und diese vielleicht, wenn die Krise aus ist und sie wieder anwaltliche Beratung in meinem Fachbereich benötigen, an mich denken. Dazu kommt auch, dass ich mich täglich mehrere Stunden mit einem Rechtsthema befasse, das derzeit immens wichtig ist.
REWI: Und hilft Ihnen dieses Fachwissen zu den COVID-19 Gesetzen und Verordnungen, die Krise besser zu überstehen?
Georg Eisenberger: Das kann man nur unterschreiben. Bei vielen meiner Mandanten stellen sich Einzelfragen zu den im Newsletter angesprochenen Themen. Diese Fragen richten sie natürlich an mich. Auch wenn das keine Riesenaufträge sind, hilft das in wirtschaftlich schwierigen Situationen natürlich auch, die Mieten und Mitarbeitergehälter zu verdienen.
REWI: Und wie ist ihre Meinung als Rechtsanwalt und Lehrender an unserer Universität zur rechtlichen Bewältigung der Corona-Krise?
Georg Eisenberger: Eine rechtliche Beurteilung der Situation ist heikel. Einerseits ist es erfreulich, wenn Österreich als eines der wenigen westlichen Länder so rechtzeitig eingegriffen hat, dass wir unser Gesundheitssystem nicht überfordert haben. Andererseits ist es rechtlich bedenklich, wie unser freies, demokratisches, die Grundrechte hochhaltendes Heimatland innerhalb kürzester Zeit über unlesbare, im Wochenrhythmus erscheinende Eilgesetze nahezu täglich verschärfte Verordnungen und widersprüchliche Erlässe in eine Richtung bewegt wird, die nicht länger unproblematisch ist. Und das, ohne dass meine Kolleginnen und Kollegen in der Anwaltschaft und an den Universitäten mit aller Vehemenz und unaufhörlich protestieren.
REWI: Können Sie Beispiele nennen?
Georg Eisenberger: Natürlich. Schon das 2. COVID-19-Maßnahmengesetz ermöglichte es dem Gesundheitsminister, das Betreten bestimmter Betriebsstätten oder Arbeitsorte bzw. „bestimmter Orte“ zu untersagen. Nach Artikel 50 des 3. COVID-19-Gesetzes kann der Gesundheitsminister nun auch noch verordnen, „unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten werden dürfen“. Auch das Betreten von „bestimmten Orten“ kann nun an „Voraussetzungen oder Auflagen“ geknüpft werden.
REWI: Und was bedeutet das?
Georg Eisenberger: Das gibt dem Gesundheitsminister ohne jede parlamentarische Kontrolle unbeschränkte Möglichkeiten, Personen das Verlassen ihres Wohnortes zu verbieten. Der Phantasie sind hier wenige Grenzen gesetzt: Alter, Maskenpflicht, Tracking-App, GPS-Schlüsselanhänger, Gesundheitsattest, Antikörpertestschein. Einer einzelnen Person, dem Gesundheitsminister, wird also vom Parlament die Möglichkeit eingeräumt, österreichweit zu entscheiden, wer unter welchen Voraussetzungen noch seine Wohnung verlassen darf.
REWI: Das heißt also, Sie haben Bedenken in Bezug auf die eingeräumte Machtfülle?
Georg Eisenberger: Mit Artikel 50 des 3. COVID-19-Gesetzes haben die Regierungsparteien den Gesundheitsminister zum Herren über den Hausarrest für ganz Österreich gemacht. Dazu wurde der Polizei die umfassende Ermächtigung eingeräumt, schon dann einzuschreiten, wenn sie „drohende Verwaltungsübertretungen“ vermuten. Diese in den Sicherheitspolizeigesetzen der Länder gelegentlich verwendete Formulierung ist bei einem Gesetz untragbar, das einem Minister ohne jede Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung seiner Maßnahmen geradezu unfassbare Eingriffe in die Grundrechte der Staatsbürger bis hin zu einem unbefristeten Hausarrest ermöglicht.
REWI: Welche Konsequenzen sind Ihrer Meinung nach aus dieser Analyse zu ziehen?
Georg Eisenberger: Es mag ohne Weiteres zutreffen, dass die gesetzten und geplanten Maßnahmen epidemiologisch notwendig sind. Es wird aber Zeit, dass die Maßnahmen der Regierung nicht nur epidemiologisch, sondern auch verfassungsrechtlich und grundrechtlich intensiver hinterfragt werden. Es wird Zeit, dass meine Anwaltskolleginnen und -kollegen dem Unbehagen über die entstandene Situation Ausdruck verleihen. Es wird Zeit, dass meine Kolleginnen und Kollegen vor allem in den öffentlich-rechtlichen Instituten der Universitäten dieses Landes ihren Forschungsauftrag stärker in diese Richtung lenken. Und ich fordere das ein, obwohl ich grundsätzlich verstehe, dass der eingeschlagene Weg unvermeidlich ist; dass alle Staaten, die einen anderen Weg versucht haben, unglaublich rasch gescheitert sind bzw. noch scheitern werden. Aber das darf angesichts der unvergleichlichen Eingriffe in unsere Freiheit und unsere Grundrechte gerade uns Juristen nicht daran hindern, jede einzelne Maßnahme und die Art ihrer Umsetzung so kritisch wie möglich zu hinterfragen. Und genau das fehlt mir zurzeit.