Warum das Strafrecht in Not ist und warum das moderne Strafrecht auf die forensische Kriminologie angewiesen ist? Dazu referierte Prof. Dr. Dr. Michael Bock am 21.10.2021 im Rahmen seines Gastvortrages zum Thema „Das forensische Paradigma in der Kriminologie“.
Allseits bekannt ist die Kriminologie in ihrer Rolle als „Lehre vom Verbrechen“, die sich vorwiegend mit der Gewinnung von Erkenntnissen über Ursachen und Erscheinungsformen von Kriminalität beschäftigt. Dass die Kriminologie aber auch eine bedeutende „angewandte“, „forensische“ Aufgabe als Einzelfallkriminologie erfüllen kann und soll, ist wenig bekannt. Das forensische Paradigma sei nach Prof. Bock aber eine notwendige Ergänzung zum „mainstream“. Die moderne Strafrechtspraxis sei schließlich im Einzelfall von der Beantwortung von Fragen abhängig, die über die Feststellung der Strafbarkeit hinausgehen: Fragen zur Bestrafung, zur Resozialisierung, zur Notwendigkeit therapeutischer Behandlung und sonstiger spezialpräventiver Maßnahmen. Die Kriminologie betrachte die Strafrechtspflege aber mittlerweile nur noch von „außen“ und spiele keine Rolle „innerhalb“ der Strafrechtspflege. Prof. Bock sprach von einer Auswanderung der Kriminologie aus dem Strafverfahren und der „Verkümmerung“ der forensischen Kriminologie in Forschung und Praxis. All das, obwohl das forensische Paradigma in der Kriminologie an sich „alt“ sei. Für Franz von Liszt oder Hans Gross sei es etwa eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass die in den Kriminalwissenschaften gewonnenen Erkenntnisse schlussendlich der Strafrechtspraxis dienen sollten. Dies würde nach wie vor gelten, sei heute allerdings keineswegs selbstverständlich. Erfreulicherweise gäbe es in diese Richtung in jüngerer Zeit auch nennenswerte Bemühungen. Prof. Bock verwies hier einerseits auf die in der Kriminologischen Gesellschaft unlängst gegründete Sektion „Forensische Kriminologie“ (http://www.krimg.de/drupal/), andererseits auf das Zentrum für interdisziplinäre Forensik in Mainz (https://www.zif.uni-mainz.de/) und auf das kürzlich ins Leben gerufene Hans Gross Zentrum für interdisziplinäre Kriminalwissenschaften (kurz „ZiK“) am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz.
Aufbauend auf dem bedeutenden Werk des Grazer Pioniers Hans Gross, der weltweit als einer der Väter der Kriminologie bekannt ist, wird das ZiK u.a. im Rahmen von kriminalwissenschaftlichen (Lehr- )Veranstaltungen und interdisziplinären Forschungsprojekten Themenbereiche wie die von Prof. Bock angesprochenen bearbeiten. Vorwiegend wird man sich im ZiK schließlich damit beschäftigen, warum und in welcher Form die Kriminalistik, die Kriminologie und die (sonstigen) forensischen Wissenschaften und deren fächerüber- und ineinandergreifende Kommunikation mit dem Strafrecht und dem Strafprozessrecht für eine erfolgreiche Strafrechtspflege, Strafrechtslehre und Forschung von Bedeutung sind. Das forensische Paradigma in der Kriminologie soll zukünftig nicht nur in Forschung und Lehre gestärkt werden, sondern sich auch als selbstverständlicher Bestandteil der Strafrechtspflege etablieren.
Am 27. Oktober 2021 ist Prof. Dr. Dr. Michael Bock ebenso plötzlich wie unerwartet verstorben.
Mit großer Bestürzung, Fassungslosigkeit und Trauer müssen wir bekanntgeben, dass unser lieber Freund, Mentor und Lehrer Professor Dr. Dr. Michael Bock (*28. Mai 1950) am Mittwoch, den 27. Oktober, während eines von ihm geleiteten Grundkurses zur Methodik der Angewandten Kriminologie in Bernau am Chiemsee mitten aus dem Leben gerissen wurde. Michael Bock war eine Koryphäe auf dem Gebiet der forensischen Kriminologie und prägte mit seinem umfassenden Erfahrungsschatz nicht nur die Kriminologie, sondern auch zahlreiche Kolleginnen und Kollegen in Wissenschaft und Praxis nachhaltig. Seine liebenswerte Art, seine große Hilfsbereitschaft und sein Sinn für Humor (ganz besonders auch seine Schüttelreime) werden uns immer fehlen. Wir werden Michael Bock nicht nur für alle Zeit ein in jeglicher Hinsicht so wertschätzendes Andenken bewahren, sondern uns auch mit aller Kraft bemühen, die forensische Kriminologie in seinem Sinne fortzuentwickeln.
Für das gesamte Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie sowie im Namen der Fakultät
Gabriele Schmölzer und Christoph Bezemek