Wie gehen wir mit Zuwanderung um? Von einem Vereinten Europa ist in dieser Frage nichts zu bemerken. Auch nicht am internationalen Tag der Migrant:innen am 18. Dezember. Die politischen Meinungen in der EU könnten nicht unterschiedlicher sein, die Debatte ist festgefahren. Bilgin Ayata, Professorin am Zentrum für Südosteuropastudien der Universität Graz, sieht im Migrationsthema vor allem eine Stellvertreter-Diskussion und skizziert einen Lösungsansatz:
Migration war und ist immer eine Herausforderung – für alle Beteiligten. Rückblickend handelt es sich aber um eine Erfolgsgeschichte für Europa, das nach dem Zweiten Weltkrieg dringend Zuwanderung brauchte. Sie war ein zentraler Motor für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung.
Faktum ist, dass die gegenwärtigen Debatten sehr emotional und sehr polemisch geführt werden. Das Thema steht nämlich oft stellvertretend für andere Konflikte. Denn es heißt zwar europäische Migrationspolitik, darunter wird jedoch irreguläre, undokumentierte Zuwanderung sowie Asyl und Flucht, insbesondere aus afrikanischen und asiatischen Ländern, verstanden. Da geht es meist vielmehr darum, wer und wer von wo aus migriert anstatt um die Kapazitäten.
Politisch findet eine Umkehrung der empirischen Realität statt: Die abnehmende Geburtenrate und eine immer älter werdende Bevölkerung erfordern laut EU-Kommission den Zuzug von 70 Millionen Menschen. Migrations- und Asylpolitik ist eine Frage des politischen Willens und weniger eine der Kapazität. Nicht die Zahlen der ankommenden Geflüchteten sind das Problem, sondern die unterschiedlichen Einstellungen zu Asyl und Migration. Tatsächlich müssen wir Grundfragen beantworten: Welches Europa wollen wir? Welche Vorstellungen von Gesellschaft haben wir? Welche Perspektiven vom Zusammenleben innerhalb der Staaten sowie in der Union?
Das Beispiel ukrainischer Flüchtender zeigt, dass humane Abläufe rasch und unbürokratisch machbar sind. Ich teile die Meinung einer italienischen Rechtswissenschaftlerin, dass die europäische Richtlinie für den temporären Schutz schon 2015 aktiviert hätte werden können. Angesichts ertrinkender Menschen im Mittelmeer erleben wir eine Dehumanisierung und Abstumpfung. Der Grenzschutz wird dabei über die Menschenrechte gesetzt. Allein der Versuch einen Asylantrag zu stellen, wird oft kriminalisiert. Das ist mit EU-Normen absolut nicht vereinbar.