REWI Uni Graz: In Ihrem Forschungsprojekt untersuchen Sie die Möglichkeiten, mit denen das österreichische Recht Nachhaltigkeit fördern kann. Welche Rechtsinstrumente sprechen Sie damit an?
Rita Simon: In erster Linie werde ich mich mit dem Gewährleistungsrecht, vor allem mit der Möglichkeit der Reparatur von Produkten, beschäftigen und mit solchen Rechtsinstrumenten, die mit der Verlängerung der Haltbarkeit bzw. der Lebensdauer von Produkten zusammenhängen. Neben den gesetzlichen Vorschriften werde ich auch die österreichischen Gerichtsentscheidungen ansehen. Es ist toll, dass man über den Uni-Server Zugang zu den wichtigsten Kommentaren und Zeitschriften hat.
Kann der Gesetzgeber alleine durch das Recht Nachhaltigkeit fördern?
Sicherlich, ja: In einigen europäischen Staaten (z.B. in Schweden, Spanien, Portugal oder Finnland) wurde die gesetzliche Gewährleistungsfrist auf drei Jahre verlängert oder die Verfügbarkeit von Ersatzteilen vorgeschrieben. Viele interessante Initiativen findet man auch außerhalb des Vertragsrechts, z.B. Steuerermäßigung für Reparaturarbeiten in Schweden; aber mein Lieblingsbeispiel kommt aus den Niederlanden. Hier orientieren sich die gesetzlichen Garantien an der erwarteten Lebensdauer der gekauften Waren, sodass die durchschnittliche Nutzungsdauer der Waren je nach Produktgruppe und Wert durch Wirtschaftsverbände vorgeschlagen wird.
Was wäre aus Ihrer Sicht nötig, um auf internationaler Ebene effektiver einen nachhaltigen Konsum zu fördern?
Dies ist eine sehr komplexe Frage, die viele Ebenen hat. Erstmal sollte eine wissenschaftlich unterlegte Methode über die Errechnung der Umweltbelastung der Produktion einschließlich der Lieferung bis zur Verkaufsfiliale oder zum Kunden international etabliert werden. Ohne dem kann man kaum den CO2-Fußabdruck von Produkten miteinander vergleichen. Auf Produktionsebene sollte das Öko-Design, die Energieeffizienz verbessert und der Materialverbrauch verringert werden. Zwar ist auch auf dieser Ebene der europäische Gesetzgeber sehr fortschrittlich, oft aber zu langsam. Was den Endkonsum betrifft, sollte jeder über seine eigenen Verbrauchsgewohnheiten kritisch nachdenken und wenn möglich das am wenigsten umweltbelastende Produkt wählen. Man darf auch nicht vergessen, dass der Transport von Produkten - und Personen - sehr umweltbelastend ist; vor allem wenn man zwei von drei online gekauften Produkten zurückschickt. Bequemer Online-Einkauf kann auch zur Umweltbelastung führen.
Sie beschäftigten sich auch ganz allgemein mit Konsumentenschutzrecht, welche Kernpunkte haben Sie in diesem Bereich in Ihrem Blick? Beobachten Sie bestimmte Entwicklungen?
Zu meinen Kernbereichen gehören missbräuchliche Vertragsklauseln, kollektive Klagen, administrative Durchsetzung von Verbraucherrechten und alternative Streitbeilegung. In jedem Bereich kann ich über eine Vielfalt von nationalen Lösungen berichten. Man würde sich wundern, wie mächtig die finanzielle Schlichtungsstelle, das Financial Ombudsman Service, in England ist; und dass die Wirtschaftskammer in den Niederlanden als Schlichtungsorgan das Schlichtungsergebnis praktisch auch vollzieht. Es gibt aber ebenso Gegenbeispiele: In Tschechien kann man Unternehmen kaum dazu motivieren, dass sie an Schlichtungsverfahren teilnehmen. Auch im Bereich kollektiver Klagen gibt es erhebliche Unterschiede in Europa. In einigen Ländern gibt es Musterklagen, in anderen Actio Popularis-Klagen, in einigen gar keine. In manchen, wie z.B. in Ungarn, existiert dieses Instrument nur als Papiertiger, in manchen gibt es diesbezüglich kein konkretes Gesetz, nichtsdestotrotz ist das Instrument funktionsfähig, wie die kollektive Klage österreichischer Art. Schön, dass das europäische Verbraucherschutzrecht so vielfältig ist. Die europäische Harmonisierung löscht kulturelle und systematische Unterschiede im Recht nicht aus. Auch wenn sich multinationale Firmen darüber weniger freuen - für uns Jurist_innen bietet das tolles Forschungsmaterial.
Sie sind Wissenschafterin am Institut für Staat und Recht an der tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag, waren zuvor in einer Rechtsanwaltskanzlei in Köln, an der Uni Köln und für die Deutsche Stiftung für internationale Zusammenarbeit und rechtliche IPR sowie im Justizministerium in Budapest tätig. Welche Erfahrungen aus diesen beruflichen Stationen würden Sie als die wichtigsten für Ihre heutige Arbeit anführen?
Ich habe an jedem Institut etwas ganz Besonderes gelernt, jeder Chef hat einen anderen Führungsstil und überall macht man etwas anderes. Aber wenn ich Prof. Micklitz im ungarischen Justizministerium im Jahr 1999 nicht getroffen hätte, hätte ich mich nicht auf diese „Reise“ eingelassen – ich hätte mich das nicht getraut. Als frische Rechtsreferendarin lieferte ich ihm Unterlagen über die Umsetzung des acquis communautaire in das Ungarische Privatrecht, was er damals im Rahmen eines Phare-Projekts untersucht hat. Inzwischen hatte er mich gefragt, was ich so jung im Ministerium zu suchen hatte, warum ich nicht lieber ein LL.M Studium im Ausland mache. Ich wusste damals gar nicht, dass so etwas existiert. In unserer Unizeit gab es weder die allgemeinen EU-Möglichkeiten noch Erasmus, Ungarn war nur ein Beitrittskandidat. Es war gar nicht einfach, in den Westen zu reisen, aber ich habe es versucht. Mit meinen damals nicht optimalen Deutschkenntnissen arbeitete ich erstmal in einer großen Rechtsanwaltskanzlei in Köln, um das Studium zu finanzieren, was außerordentlich herausfordernd war. Aber jede ausländische Erfahrung ist von großem Wert gewesen. Deswegen würde ich jedem empfehlen, ein Studium oder Praktikum im Ausland auszuprobieren. Es macht einen riesigen Unterschied, ob man deutsch spricht oder das deutsche Rechtssystem kennt; und an einer ausländischen Uni arbeiten zu dürfen, ist das Tollste, was man erfahren kann. Sprachliche, kulturelle Fertigkeiten lernt man auch, und man wird international vernetzt.
Wie fiel für Ihr aktuelles Forschungsprojekt Ihre Wahl auf die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Uni Graz?
Österreichische Literatur zählt zu den wenig zugänglichen. Deutsche Quellen erhält man überall, englische Literatur findet man im Netz, aber österreichische Literatur ist schwer erhältlich, ausgenommen das RIS System, das aber kaum für tiefere Forschungszwecke ausreicht. Deswegen bin ich sehr froh, dass ich vor Ort recherchieren darf. An die Uni Graz war ich schon letztes Jahr wegen eines Workshops im Klimarecht gekommen. Mich haben die Aktivität und Zukunftsorientierung der Universität und der Fakultät positiv überrascht und beeindruckt. Damit war Graz schon auf meinem Wunschzettel. Deswegen war ich sehr froh, als Prof. Doralt mir über die Land Steiermark Senior Fellowships erzählt hat, weil ich mich unbedingt bewerben wollte. Einen besseren Einblick in das Uni-Leben gewinnt man kaum auf andere Weise - ein Forschungsaufenthalt ist ideal und ich kann in dieser Zeit an meinen Projekten und dem Austausch mit Kolleg_innen aus Graz unter sehr guten Bedingungen arbeiten.