(Interview geführt am 15. April 2020)
REWI: Man hat eine Reise gebucht, möchte diese aufgrund der derzeitigen Situation aber nicht mehr antreten: Kann man die Reise stornieren und sein Geld zurückbekommen?
Thomas Schoditsch: Dies ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Im ersten Schritt ist zu klären, ob es sich um eine Pauschalreise oder eine Individualreise handelt. Die Pauschalreise ist praktisch der häufigste Typ des Reisevertrags: Sie liegt im Wesentlichen dann vor, wenn von einem Unternehmen eine Kombination zweier verschiedener Arten von Reiseleistungen – etwa Flug plus Übernachtung – angeboten wird. Eine Individualreise liegt vor, wenn im Rahmen des Vertrags eine einzelne Leistung gebucht wurde; etwa ein Flug, ein Hotelaufenthalt oder eine Ferienwohnung.
REWI: Was muss man bei Pauschalreisen beachten?
Thomas Schoditsch: Bei Pauschalreisen besteht ein gesetzliches Rücktrittsrecht vom Vertrag gem § 10 PRG (Pauschalreisegesetz). Voraussetzung eines Reiserücktritts ist, dass am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände auftreten und dadurch die Reisedurchführung erheblich beeinträchtigt wird. Als ein solcher Umstand ist etwa der Ausbruch einer schweren Krankheit am Reiseziel mit erheblichen Gefahren für die menschliche Gesundheit zu werten, sodass eine drohende Infektion mit dem Corona-Virus grundsätzlich zu einem Reiserücktritt berechtigt. Angesichts der Aggressivität dieses Virus im Hinblick auf seine Übertragung und der potentiell letalen Folgen einer COVID-19-Erkrankung wird man die Formulierung „unmittelbare Nähe“ auch großzügig verstehen müssen. Besteht ein solches Rücktrittsrecht, kann der Pauschalreisende seine Reise kostenfrei stornieren und erhält sämtliche Anzahlungen zurück.
REWI: Wie verhält es sich bei Individualreisen?
Thomas Schoditsch: Bei Individualreisen fehlt ein ausdrückliches gesetzliches Rücktrittsrecht, weshalb sich die Judikatur mit der Konstruktion des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ behilft. Liegt dieser Wegfall vor, kann der Vertrag aufgelöst werden und der Individualreisende erhält sein Geld zurück. Im Reiserecht sind dafür drei Kriterien maßgebend: 1.) Die Sphärenfremdheit des Ereignisses („höhere Gewalt“); 2.) seine Unvorhersehbarkeit und 3.) die Unzumutbarkeit des Reiseantritts. In der richterlichen Praxis hat die Frage der Unzumutbarkeit große Bedeutung: Liegt Unzumutbarkeit vor, so steht dem Reisenden in aller Regel ein Rücktrittsrecht zu. Für Auslandsreisen sind dabei insbesondere Reisewarnungen des Bundesministeriums für Europäische und Internationale Angelegenheiten (BMEIA) maßgeblich; bei deren Vorliegen geht der OGH regelmäßig von der Unzumutbarkeit des Reiseantritts – und damit von einem Rücktrittsrecht des Reisenden – aus. Steht bis zum Reiseantritt allerdings noch ein erheblicher Zeitraum für die Beurteilung der Gefährdungslage zur Verfügung und können nachfolgende Ereignisse zu einer Verminderung des Risikos führen, muss der Reisende aber vorerst die weitere Entwicklung im Zielland abwarten.
REWI: Wenn man schon einen Sommerurlaub etwa in Italien gebucht hat, ist es möglich, diesen jetzt kostenlos zu stornieren?
Thomas Schoditsch: Im Hinblick auf die aktuelle Aussage von Bundeskanzler Sebastian Kurz, wonach die Reisefreiheit der ÖsterreicherInnen im Sommer 2020 stark eingeschränkt sein wird, ist noch einiges im Fluss. Angesichts der dramatischen Situation in Italien, wo täglich beinahe 1000 Menschen sterben, scheint es aber völlig unrealistisch, davon auszugehen, dass sich die Lage im Mai 2020 wieder bereits völlig entspannt hat. Zur Sicherheit würde ich aber empfehlen, noch ein paar Wochen abzuwarten, bis die Sommerreisen storniert werden. Schließlich hat der Reisende eine Verpflichtung, weitere Entwicklungen einer Gefährdungslage abzuwarten – besonders wenn der Reiseantritt noch Monate entfernt ist. Bedenken Sie auch, dass Sie mit einem Rücktritt die Existenz eines Tourismusbetriebs sogar gefährden können. Mit meiner Familie habe ich den Urlaub bei unserem liebgewonnenen Agroturismo am Meer daher nicht storniert, sondern lediglich verschoben.
Siehe auch:
Assoz. Prof. Mag. Dr. Thomas Schoditsch, Zum Reiserücktritt wegen COVID-19, Zak Heft 6/2020, Artikel-Nr. 2020/191 (Link)