„Serious Games“, zu Deutsch wörtlich „ernste Spiele“, vom Sinngehalt her am ehesten „Planspiele“, bieten Teilnehmenden die Gelegenheit, komplexe, mitunter auch verzwickte Fragen aus neuen Blickwinkeln zu sehen und zu verhandeln. In den Rechtswissenschaften findet sich diese Methode jedoch noch selten. Univ.-Prof. Dr. Sascha Ferz und Univ.-Prof.in Dr.in Elisabeth Hödl spielten nun in ihrem Seminar “Serious Game. Access to Justice or on the way to reorganize the judiciary” ein solches. Das Seminar fand in englischer Sprache statt, verband einen systemischen Ansatz mit einer gesellschaftspolitischen Kernfrage mit juristischen und nicht-juristischen Zugängen und richtete sich insbesondere an internationale Studierende.
Prof. Ferz und Prof.in Hödl, in Ihrem Seminar wird innovativ gelehrt, und zwar mit Serious Games – was versteht man darunter, und wie laufen sie ab?
Serious Games (Planspiele) stellen eine erfahrungsbasierte Lernmethode dar, die Möglichkeiten zum Experimentieren bietet und damit den Raum für die Entwicklung einer selbstorganisierten und praxisorientierten Lernkultur schafft. Ein klassisches Planspiel besteht aus drei Phasen: (1) dem Briefing, in dem die TeilnehmerInnen in das Spiel und ihre Rollen eingeführt werden; (2) der Spielphase, in der aktiv miteinander gearbeitet, diskutiert sowie verhandelt wird; und (3) der Auswertungsphase (dem Debriefing), in der die Ergebnisse interpretiert werden.
Was ist aus Ihrer Sicht der Mehrwert eines solchen Planspiels?
Serious Games orientieren sich an komplexen Problemsituationen, in denen die TeilnehmerInnen in definierten Rollen in einem bestimmten Ausgangsfall gemeinsam nach Lösungen suchen. In der zunehmend komplexer werdenden Welt liegt der Mehrwert genau in dieser Lösungsorientierung. Diese Vorgehensweise ermöglicht es den Teilnehmer*innen, ein besseres Verständnis für die Folgen von Entscheidungen zu erlangen. Im konkreten Setting haben wir zudem eine Anbindung zum systemischen Denken (nach: Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus, Fritz B. Simon) und zur Verhandlungstheorie hergestellt. So werden die Teilnehmer*innen nicht nur auf eine andere Denkebene gehoben, sondern auch mit den schwierigen Fragen der Interessenklärung und Entscheidungsfindung befasst, die sie wiederum praktisch im Wege der Durch- und Umsetzung verhandlungstechnisch erleben konnten.
Welche Fragestellungen können mittels Serious Games besonders gut verhandelt werden?
Planspiele können soziotechnische Systeme simulieren. Sie eignen sich für die Lösung konfliktreicher Situationen mit zahlreichen AkteurInnen. Jede*r Teilnehmer*in übernimmt eine zugewiesene Rolle und versucht damit spezifische Interessen zu vertreten. In dem von uns gewählten Setting des Serious Games lag der Fokus auch auf der Verhandlung. Das Ziel war, nicht bloß die zentralen Fragen und Unterschiede herausarbeiten zu lassen, sondern trotz vermeintlicher Divergenzen eine Lösung zu verhandeln, mit der alle Beteiligten „zufrieden“ waren. Wir selbst waren übrigens Teil des Spiels und konnten dadurch unmittelbar Leadership ausüben und das Geschehen lenken.
Warum haben Sie das Thema „Cancel Culture“ für das Planspiel gewählt?
Uns ging es um die juristische Einbettung der Themenstellung. Die Redaktion einer regionalen Tageszeitung mit RedakteurInnen und Chefredaktion war das Szenario für unser Planspiel. Die rechtlichen Anbindungen waren das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit, die Rolle des Journalismus in der Demokratie und der Entwurf des European Media Freedom Act (EMFA). Wir haben das Thema unter dem Aspekt der „Cultural Appropriation“ betrachtet. Damit ist die Aneignung kultureller Merkmale in einem ungleichen Machtverhältnis ohne zugrundeliegende Legitimation gemeint. Es ging um die Frage, ob weiße Musiker, die Dreadlocks tragen, von ihrem künstlerischen Auftritt ausgeschlossen werden sollen. Bei der Gestaltung und Ausführung der Rollen orientierten wir uns an realen Fallbeispielen, die tatsächlich stattgefunden haben.
Wie verstehen Sie den Begriff „Cancel Culture", der ja in der medialen Berichterstattung ständig – und wohl nicht mit einheitlicher Bedeutung – verwendet wird?
Absolut, der Begriff hat viele Facetten und es existiert umfangreiche wissenschaftliche und journalistische Literatur dazu. Wir setzten ihn mit Blick auf die Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit, auf mögliche Verkürzungen des Diskurses und auf die dadurch ausgeübte Macht ein.
Was haben Sie selbst aus dem Planspiel mitgenommen?
Wir haben von den Studierenden ein umfassendes Feedback erhalten. Dafür sind wir sehr dankbar. Die TeilnehmerInnen haben insbesondere ihre emotionalen Erfahrungen und die Reflexionen über den Spielkontext hervorgehoben. Auffallend war, wie tief das Rollenerlebnis geht. Es war spannend, die Konflikte, aber auch die Strategien dahinter zu sehen. Das wird uns auch in Zukunft helfen, entsprechende Rollen und Konfliktlinien zu definieren. Wir freuen uns, dass unser Konzept in dieser Form Anklang gefunden hat. Damit haben wir gemeinsam mit den Studierenden Pionierarbeit geleistet. Es war eine wirklich tolle Gruppe, neugierig im besten Sinne!