In den letzten Monaten sind SMS- und Chatprotokolle unserer PolitikerInnen ans Licht der Öffentlichkeit gelangt. Sie zeigen, wie dicht verwoben die Netzwerke der Einflussreichen in unserem Land sind. Welche Auswirkungen das auf die Justiz hat und ob das Recht der Politik folgt, darüber diskutierte an der Universität Graz in der Reihe „Dean’s Talk“ Christoph Bezemek, der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, mit dem Politikwissenschafter Peter Filzmaier.
„Wir leben in einer schwierigen, anspruchsvollen, teilweise verstörenden Zeit“, konstatierte Filzmaier gleich eingangs der Diskussion. Seit Ibiza könne man glauben, das Recht habe der Politik zu folgen. Ganz falsch sei diese Haltung nicht. „Andererseits gibt das Recht der Politik Regeln vor“, stellt er fest. Die Frage sei, wer die Verhaltensregeln mache. „Die Politik ist das Treffen allgemeingültiger und verbindlicher Vorgaben, die das Zusammenleben regeln“, definiert der Politikwissenschafter. „Umgekehrt ist aber die Verfassung der Rahmen für die Politik. Eine Änderung dieser Grundlage bedingt zwingend eine Volksabstimmung.“
In Österreich gebe es Paradoxien, die typisch für unser Land seien. „Hierzulande werden einige Gesetze wie das Steuerrecht oder die Straßenverkehrsordnung eher als unverbindliche Empfehlung gesehen“, stellt Filzmaier überspitzt fest und verweist darauf, dass es beispielsweise Schweizer StaatsbürgerInnen nicht verständlich zu machen sei, warum sich bei uns kaum jemand an Geschwindigkeitsbeschränkungen halte. Denn Normenakzeptanz sei für eine Rechtsordnung überaus wichtig. Und eine Norm erfülle ihren Zweck erst beim Rechtsbruch durch die darauffolgende Sanktion. „Wenn sich jede und jeder an alle Regeln hielte, wäre eine Kontrolle, die zentrale Rolle unserer Justiz, nicht mehr notwendig.“
Das zentrale Dilemma heute sei, dass sich die Politik selbst an diese Sammlung der Spielregeln nicht halte und diese nach ihrem Gutdünken umdeute. „So ist ein Klubzwang bei Abstimmungen im Nationalrat verfassungswidrig, im Übrigen wie die Ernennung von ´unabhängigen´ Höchstrichtern durch die Politik oder die politische Besetzung der Stiftungsräte im ORF“, erklärt Filzmaier. Das habe das Vertrauen in PolitikerInnen in den letzten Jahren zusehends erschüttert. Besonders deutlich werde das in den jährlichen Studien zu den Vertrauenswerten von Berufsgruppen. „Hier liegen die RichterInnen noch bei etwa 75 Prozent, WissenschafterInnen bei 50 bis 60, JournalistInnen bei knapp über 30 und PolitikerInnen nur mehr zwischen sechs und acht Prozent“, zählt er auf. „Ähnlich niedrig sind nur die Vertrauenswerte von Waffenhändlern und Zuhältern“, zeichnet er ein düsteres Imagebild der Politik.
Schuld am schlechten Image sei aber die Politik selbst. „In keiner anderen Branche machen BewerberInnen Negativwerbung über die Konkurrenz“, sieht der Uni-Professor den Grund. In der Wirtschaft gelte der Grundsatz: Schütze die eigene Branche! In der Politik hingegen werde munter darauf los beleidigt und polemisiert. „Mittlerweile ist es bitterer Ernst. Aus Parteien-Verdrossenheit wurde Politik-Verdrossenheit. Und mittlerweile steht man der Demokratie als Ganzes negativ gegenüber“, zeichnet Filzmaier ein düsteres Bild. Für eine einzige Wahl reiche es, einfach nur irgendwie anders zu sein als die anderen, siehe Stronach oder die MFG. In der Zwischenzeit gebe es fünf Prozent echte Demokratie-GegnerInnen in Österreich, etwa 25 Prozent der Wahlberechtigten seien latent anfällig für antidemokratische Tendenzen. „In absoluten Zahlen sind das mehrere hunderttausend, im zweiten Fall sogar mehr als eineinhalb Millionen Menschen“, rechnet Filzmaier. „Und nur mehr weniger als zwei Drittel der BürgerInnen halten die Demokratie für die beste Staatsform.“ Das führe dazu, dass die WählerInnen nur mehr das ´kleinste Übel´ wählen würden. „Die jetzige Situation treibt diese Menschen den Rattenfängern richtiggehend in die Arme.“
Besonders bedenklich sei die Entwicklung, dass die grundsätzlichen Haltungen aus dem Bereich persönlicher Meinungen zu einer festsitzenden Einstellung würden. „Wir laufen richtiggehend Gefahr, dass sich antidemokratische Werte festsetzen und sich damit der gesamtgesellschaftliche Grundkonsens ändert. Soll heißen: die Menschen stellen mittlerweile die Demokratie als Ganzes in Frage.“ Eine Umkehrung dieses Prozesses brauche ebenso lange wie seine Entstehung: nämlich Jahre. Wie wir diesen Knoten lösen können? „Mit mehr Rechts- und politischer Bildung als Langzeitprogramm“, schlägt der Wissenschafter vor.
Ob eine ExpertInnenregierung die bessere Lösung wäre? Das sieht der Fachmann kritisch: „Klassische FachexpertInnen erfüllen die Anforderungen für den Beruf eines Politikers oder einer Politikerin nicht. ExpertInnen müssen per se keine Durchsetzungskraft besitzen.“ Das habe man auch in der Pandemie gesehen, in der viele Entscheidung nicht auf evidenzbasierten Daten der ExpertInnen getroffen wurden. Hier sei ein symbiotisches Verhältnis zwischen Politik und ExpertInnen wünschenswert.
Angesprochen auf das Negativimage des Politikerberufs und die Probleme bei der Rekrutierung politischen ´Nachwuchses´ meint der Forscher: „Leider hat die Politik den Zeitpunkt verpasst, sich neu zu definieren. Sie weist immer mehr Tendenzen auf, sich das Recht willkürlich zurechtzubiegen. Und bei der Frage: ´Wen haben wir denn, der das kann?´ fällt mittlerweile der letzte Halbsatz leider allzu oft weg.“
Warum „Wag the dog“ Peter Filzmaiers Lieblingsfilm ist, er am liebsten gelbe (Uni Graz-) Krawatten trägt, und welche Chancen eine Partei mit dem Namen „Winnetous Apachen“ und dem Slogan „Wir sind die echten Roten“ mit ihm an der Spitze hätte, können Sie hier nachsehen.