REWI Uni Graz: „Zum ewigen Frieden“ betitelte Kant 1795 einen Aufsatz. Sind Menschen zu einem solchen fähig?
Maximilian Lakitsch: Das kommt wohl immer auf das Verständnis von Frieden an. Aber solange menschliche Entscheidungsfreiheit erhalten bleibt, scheint eine derartige Vorstellung eher ein uneingelöstes säkulares Heilsversprechen bleiben zu müssen. Das ist wohl die harte Lektion nach den utopistischen 1990er-Jahren.
Was bedarf es für Frieden?
Das ist schwer zu sagen und hängt immer vom jeweiligen Kontext ab. In jedem Fall ist ein Ernstnehmen jedweder Position wichtig, unabhängig davon, wie irrational oder extrem sie erscheinen mag. Weiters zeigt sich immer mehr, wie wichtig Bescheidenheit in der Beurteilung von Situationen nötig ist. Meistens wird über die Welt gesprochen, anstatt diese und ihre Aktuer*innen selbst sprechen zu lassen.
Lassen aktuelle Konflikte Gemeinsamkeiten erkennen?
Jeder Konflikt ist anders, so wie auch jeder Friedensprozess anders ist. Strukturell gesehen wäre aber wohl die Involvierung nicht-staatlicher Akteure als Gemeinsamkeit zu nennen. So spielt etwa Elon Musk eine gewichtige Rolle im Krieg zwischen Russland und der Ukraine durch die kostenlose Bereitstellung von Breitband-Internet über seine Starlink-Satelliten. Ebenso sind meistens nicht-staatliche Milizen oder NGOs als relevante nicht-staatliche Akteure zu nennen. Was sich auch immer mehr zeigt, v.a. in länger andauernden so genannten „protracted conflicts“, sind der maßgebliche Faktor Klimakrise und extreme Wetterphänomene, die Prekaritäten vergrößern und somit konfliktverschärfend wirken.
Man hört immer öfter von „neuen Kriegen“. Was versteht man darunter?
Das ist eine (nicht mehr so ganz neue) Theorie von Mary Kaldor, die einen Paradigmenwechsel in der Kriegsführung nach dem Ende des Kalten Krieges verortet. Demgemäß sind die maßgeblichen Akteure nicht mehr staatliche, sondern nicht-staatliche Gruppen, die nicht entlang klassischer politischer Ziele Krieg führen, sondern Krieg bzw. bewaffnete Auseinandersetzungen mitunter zum Selbstzweck erheben. Das geht mit einem höheren Schaden für die Zivilbevölkerung einher – auch als relativ kostengünstiges Kriegsmittel. Im Grunde genommen reflektiert diese Theorie die Übersetzung gesellschaftlicher Veränderungen im Rahmen von Globalisierung und der Zunahme transnationaler Dynamiken für das Phänomen der bewaffneten Konflikte. Die grundlegenden Aspekte der Theorie sind schwer zu leugnen.
Was erwartet die Leser_innen in Ihrer Publikation „Grazer Forschungsbeiträge zu Frieden und Konflikt“?
Vor allem ein sehr vielfältiger und umfassender Blick auf die Thematik Frieden und Konflikt. Wir haben es geschafft, Forscher_innen von vier Fakultäten für Beiträge zu gewinnen. Dabei decken wir eine große thematische Bandbreite von häuslicher Gewalt bis Kriegsrecht im internationalen Kontext ab. Unser Band ist nicht nur interessant als eines der wenigen sehr umfassenden Kompendien zu Frieden und Konflikt, sondern auch aus wissenschaftstheoretischer Sicht, was nicht zuletzt die disziplinär-bedingten Unterschiede in den methodischen Herangehensweisen betrifft.
Konnten Sie selbst neue Einblicke durch die Beiträge Ihrer Kolleg_innen gewinnen?
Auf jeden Fall. Die Friedens- und Konfliktforschung, die disziplinär den Politikwissenschaften zuzurechnen ist, ist zwar ein offener, aber doch ein eigener Diskurs. So war unser Projekt für mich eine Lehrstunde im inter- und multidisziplinären Denken.
Arbeiten Sie bereits an neuem Publikationsmaterial?
Gerade eben ist ein Sammelband im Brill-Verlag zur Thematik Religion, Staat und Recht (Religious Diversity, State, and Law – National, Transnational and International Challenges) erschienen, bei dem ich u.a. neben Joseph Marko als Herausgeber mitbeteiligt war und auch zwei Beiträge verfasst habe. Darüber hinaus arbeite ich an mehreren Artikeln zu den Verquickungen von Frieden und Klimawandel.
Eine Gelegenheit: Sie können die gesamte Publikation „Grazer Forschungsbeiträge zu Frieden und Konflikt“ hier abrufen und lesen.