Quer durch die Medienlandschaft überwiegt ein recht düsteres Bild über den Ausgang der COP29 und die Folgen für den globalen Klimaschutz. Wie beurteilen Sie das, was erreicht wurde?
Ruppel: Ich will das Ergebnis nicht schönreden, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die COP29 zumindest eine Verdreifachung der bisherigen Finanzmittel für Entwicklungsländer brachte: von bisher 100 Milliarden US-Dollar – basierend auf einer Vereinbarung, die 2009 in Kopenhagen getroffen wurde – auf 300 Milliarden jährlich bis 2035. Das ist kein Optimalergebnis, aber doch eines, mit dem man weiterarbeiten kann. So im Übrigen auch die Reaktion von Joe Biden.
Wobei die betroffenen Länder wie auch die Wissenschaft und die UNO diese Summe nicht als ausreichend betrachten.
Ruppel: Das stimmt zumindest teilweise. UNO-Klimachef Simon Stiell räumte ein, dass die Verhandlungen, die zu dem Abkommen führten, zwar schwierig waren, lobte aber das Ergebnis als Versicherungspolice für die Menschheit gegen die globale Erwärmung. 300 Milliarden US-Dollar jährlich sind kein unerheblicher Betrag. Zudem hat man in Aussicht gestellt, unter Miteinbeziehung privater Investor:innen – das heißt aus öffentlichen und privaten Quellen – die Summe bis 2035 auf 1,3 Billionen pro Jahr zu erhöhen. Das ist zwar keine konkrete Zusage, aber immerhin eine Perspektive.
Was sagen Sie zur Idee, private Geldmittel zur Klimafinanzierung heranzuziehen?
Ruppel: Ich halte das durchaus für legitim. Die Industriestaaten haben in der Vergangenheit „Sünden“ in Bezug auf das Klima begangen, aber Unternehmen auch. Denen muss man die Möglichkeit geben, sich mehr einzubringen. Und es muss sich für sie auch lohnen. Dann haben alle was davon. In Afrika, Südamerika, Asien eröffnen sich enorme Märkte, die mit neuen Energien und anderen Investitionen nach vorne gebracht werden können.
Welche Nationen tragen die Klimafinanzierung?
Ruppel: Derzeit sind das die Europäische Union, deren Mitgliedstaaten, die USA – noch – und Kanada sowie ein paar weitere größere Länder. Die Frage wird sein, welchen Beitrag die Schwellenländer künftig zu leisten haben. Wo sind die neuen Emittenten? Sind sie zukünftig auch an Board oder ihre Beiträge noch immer hauptsächlich freiwilliger Natur? China hat in Europa mitunter einen „schlechten Ruf in Sachen Klimaschutz“. Ich sehe das anders. Chinas freiwilliger Beitrag zur Klimafinanzierung ist keineswegs unerheblich. Insbesondere in den Entwicklungskontexten, zum Beispiel in Afrika.
Dahinter stehen aber doch starke Eigeninteressen, indem China seinen Machtbereich auf diese Regionen ausweitet.
Ruppel: Das ist sicherlich nicht alles nur heilsbringend. Nichtsdestoweniger, wenn man gewisse Fehler, wie wir sie in Europa im Laufe der Industrialisierung gemacht haben, auf anderen Kontinenten vermeiden will, braucht man dafür Finanzmittel und neue Technologien, die neben wirtschaftlichen auch andere positive Effekte haben: Arbeitsplätze, eine Verbesserung der Nahrungsmittelsicherheit und dass die Menschen – insbesondere die Armen – von den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels verschont bleiben.
Noch einmal zurück zur Klimakonferenz in Baku: In puncto Ausstieg aus den fossilen Energien brachte sie keinen Fortschritt. Wurde darüber gar nicht gesprochen?
Ruppel: Die fossilen Brennstoffe wurden bei der Klimakonferenz 2023 in Dubai sehr intensiv behandelt. Das hätte dieses Jahr verpflichtend verbrieft werden sollen, um die Entwicklung weiter voranzutreiben. Das ist nicht hinreichend passiert, trotz Verhandlungen zu diesem Thema. Es gibt Vorwürfe, dass hinter den Kulissen sogar getrickst wurde, dass – wie manche behaupten – die Saudis Aserbaidschan beraten hätten, fossile Fragestellungen weitestgehend aus den Verhandlungsergebnissen herauszufiltern. Ich kann das zwar weder bestätigen noch dementieren, aber es ließe eine Manipulationsabsicht erkennen.
Befürchten Sie nun eine Rückentwicklung in Sachen fossiler Energie?
Ruppel: Es bewegt sich immer etwas ein bisschen weiter. Aber ja, es geht zu wenig und es geht zu langsam. Fossile Energien müssen abnehmen – und da gibt es wirklich großen Zeitdruck. Dass Saudi-Arabien und andere fossile Länder, deren Wirtschaften zu einem Großteil auf diesen Energieträgern bauen, nicht begeistert sind, diese Themen zu bearbeiten, lässt sich ja gewissermaßen nachvollziehen. Eines ist aber klar: Das fossile Zeitalter wird zu einem Ende kommen, hoffentlich früher als später. Wobei es nicht viel später sein wird, sondern nur vielleicht nicht ganz so früh, wie es sein müsste.
Sehen Sie von Seiten der Öl-Staaten überhaupt Interesse an einer Neuorientierung?
Ruppel: Natürlich ist man sich in diesen Ländern wie auch in der Ö- und Gas-Industrie bewusst, dass das fossile Zeitalter dem Ende zugeht. Die Frage ist nur wie schnell und wie hart die Landung auf der anderen Seite sein wird. Industrien sind in erster Linie wirtschaftlich orientiert, wissenschaftlich beraten und rational gesteuert. Das heißt: Man versucht schon, in neue Energiemöglichkeiten zu investieren und in Forschungen, die technologischen Fortschritt ermöglichen, damit die Landung dann irgendwann nicht zu hart ausfällt.
Am 25. November lud „Clim:Law: Graz“ gemeinsam mit dem Profilbereich Climate Change Graz zu einer „Post COP29“-Diskussion, übertitelt mit der Frage: Solidarität für eine grüne Welt oder zurück zu alten Energien und Konkurrenzen? Was antworten Sie?
Ruppel: Solidarität ist in den 300 Milliarden US-Dollar jährlich zur Klimafinanzierung vorhanden. Aber ob das ausreicht, ist zu bezweifeln. Grüne Welt – davon sind wir leider noch sehr weit entfernt, denke ich. Das mit den alten Energien sehe ich sehr, sehr kritisch. Wir müssen allerdings schon zugeben, dass auch in hiesigen Gefilden noch an Altem festgehalten wird. So bemüht man doch die Putin‘schen Gas-Vertragsverpflichtungen immer weiter. Die Bevölkerung liebt den Wohlstand und die Sicherheit. Und man will‘s im Winter warm haben. Daher ist es durchaus verständlich, dass die alten Energien auch hier nicht über Nacht verschwinden werden.
Oliver Ruppel ist Leiter des Forschungszentrums für Klimaschutzrecht an der Uni Graz und Professor für öffentliches und internationales Recht an der Universität Stellenbosch in Südafrika, wo er das Institut für Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit leitet. Er war viele Jahre Mitglied im Weltklimarat (IPCC) der Vereinten Nationen und hat am 5. Sachstandsbericht als koordinierender Leitautor mitgearbeitet. Dieser lieferte die wissenschaftliche Grundlage für das Pariser Übereinkommen im Jahr 2015. Darüber hinaus ist er seit 2015 non-resident Distinguished Fellow des deutschen Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management- und Wissensökonomie (IMW) in Leipzig und war mehrere Jahre für die Konrad-Adenauer-Stiftung tätig. Für diese leitete er unter anderem ein Regionalprogramm zu Fragen der Klimapolitik und Energiesicherheit. Ruppel hat selbst immer wieder an Klimaverhandlungen teilgenommen, unter anderem bei der COP21 in Paris.