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Staatliche Haftung für COVID-19-Maßnahmen?

Dienstag, 16.06.2020

REWI-Professor Christoph Hofstätter über Amtshaftung, Staatshaftung sowie Entschädigungen nach dem Epidemiegesetz

(Interview geführt am 16. Juni 2020)

 

REWI: Welche Arten einer Haftung des Staates für die zur Bewältigung der COVID-19-Krise gesetzten Maßnahmen sind denkbar?

Christoph Hofstätter: Nachdem sich die COVID-19-Krise in den letzten Wochen merkbar entspannt hat und wesentliche Beschränkungen des täglichen Lebens weggefallen sind, stellt sich nunmehr die Frage der Haftung für Schäden, die durch staatliche Maßnahmen entstanden sind. Hier gilt es zu unterscheiden. Primär sind Amtshaftungsansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz und Staatshaftungsansprüche nach Unionsrecht denkbar. Daneben zielen einige Wirtschaftstreibende darauf ab, doch noch eine Entschädigung nach dem Epidemiegesetz zu bekommen.

 

REWI: Unter welchen Voraussetzungen ist ein Amtshaftungsanspruch durchsetzbar?

Christoph Hofstätter: Die ordentlichen Gerichte als Amtshaftungsgerichte verpflichten einen Rechtsträger wie den Bund grundsätzlich dann zu einer Ersatzleistung, wenn ein dem Bund zurechenbares Organ in Vollziehung der Gesetze einer Person einen Schaden durch rechtswidriges und schuldhaftes Handeln zugefügt hat. Das lässt sich anhand einer Unternehmerin zeigen, über deren Betriebsstätte gemäß einer Verordnung auf Grundlage des § 1 COVID-19-Maßnahmengesetzes ein Betretungsverbot verhängt wurde. Ihr ist durch die Schließung ein Schaden am Vermögen entstanden, das Verhalten des Organs war für den Schaden kausal. Der Gesundheitsminister ist bei der Erlassung der Verordnung in Vollziehung der Gesetze tätig geworden, ein Amtshaftungsanspruch wegen eines verfassungswidrigen Gesetzes wäre dagegen ausgeschlossen. Ist die Verordnung rechtswidrig ergangen, wird man auch ein Verschulden des Gesundheitsministers annehmen können. Eine Schadensminderungspflicht durch Anfechtung der Verordnung mit einem Individualantrag kann man der Geschädigten bei nur zeitlich beschränkten Betretungsverboten auch nicht entgegenhalten; der Schaden tritt mit dem ersten Tag der Schließung ein, der Verfassungsgerichtshof entscheidet frühestens in der nächsten Session darüber, ein einstweiliger Rechtsschutz ist nicht vorgesehen.

Im Kern hängt der Haftungsanspruch daher an der Frage, ob der Gesundheitsminister rechtswidrig gehandelt hat. Hegt das Amtshaftungsgericht Bedenken an der Gesetzmäßigkeit der Verordnung, ist es grundsätzlich verpflichtet, den Verfassungsgerichtshof anzurufen und seine Entscheidung nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auszurichten.

 

REWI: Wie stehen die Chancen potenzieller Kläger?

Christoph Hofstätter: Die Chancen für erfolgreiche Amtshaftungsklagen werden sich schon in der gerade laufenden Juni-Session des Verfassungsgerichtshofes zeigen. Der Verfassungsgerichtshof könnte eher geneigt sein, die generellen Schließungsmaßnahmen als aus Ex-ante-Sicht erforderlich im Sinne des § 1 COVID-19-Maßnahmengesetzes zu akzeptieren, dafür partielle Schließungsmaßnahmen (z.B. Sperre von Betriebsstätten nur mehr ab einer bestimmten Größe) sowie den Ausschluss der Entschädigung nach dem Epidemiegesetz beanstanden. Insgesamt wird die Aufarbeitung der COVID-19-Maßnahmen aus haftungsrechtlicher Perspektive wohl mehrere Jahre in Anspruch nehmen, sind doch viele unterschiedliche (individuelle) Rechtshandlungen gesetzt worden, die hier nicht weiter dargestellt werden können.

 

REWI: Wie sind Staatshaftungsklagen nach Unionsrecht zu beurteilen?

Christoph Hofstätter: Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes haften die Mitgliedstaaten den Bürgern für Schäden, die durch einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht (z.B. Österreich schränkt durch Grenzsperren ohne jede Rechtfertigung die Dienstleistungsfreiheit ein) entstanden sind. Anders als nach dem Amtshaftungsgesetz ist ein Verschulden nicht Haftungsvoraussetzung und sind Mitgliedstaaten hier auch für das Handeln des Gesetzgebers und der Höchstgerichte verantwortlich. Durchzusetzen sind Staatshaftungsklagen vor den nationalen Gerichten, in Österreich in der Regel vor den Amtshaftungsgerichten. Soweit der Verstoß dem Gesetzgeber zurechenbar ist (sog. „legislatives Unrecht“), muss Klage vor dem Verfassungsgerichtshof nach Art 137 B-VG erhoben werden (selbiges gilt für Klagen wegen „höchstgerichtlichen Unrechts“). Derzeit sind auch entsprechende Klagen anhängig, der Verfassungsgerichtshof hat in der Vergangenheit die schadenskausale Handlung indes regelmäßig einem Vollzugsorgan zugerechnet und die Klage zurückgewiesen. Einen Staatshaftungsanspruch wegen legislativen Unrechts hat er bisher noch nie zuerkannt. Für eine nähere Beurteilung müsste man das Vorbringen der Kläger kennen. Schließt der Verfassungsgerichtshof eine Zurechnung zum Gesetzgeber aus, stünde dem Kläger innerhalb der analog anwendbaren Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 Amtshaftungsgesetz (in der Regel drei Jahre ab Kenntnis des Schadens) noch die Anrufung der Amtshaftungsgerichte offen.

 

REWI: Auf welchem Wege könnte noch eine Entschädigung nach dem Epidemiegesetz erreicht werden?

Christoph Hofstätter: Am Beginn des sog. Lockdown, der so gut wie alle Lebensbereiche (besonders stark und langanhaltend auch die Universitäten) betroffen hat, ist der Gesetzgeber in einem zentralen Fall von der bisher nach § 32 Epidemiegesetz bestehenden Entschädigungsregelung abgewichen. Oder er hat es zumindest versucht, indem er das COVID-19-Maßnahmengesetz – als vom Epidemiegesetz abzugrenzende Rechtsgrundlage – geschaffen und darin eine Bestimmung eingefügt hat, die Entschädigungszahlungen an Betriebe für den erlittenen Verdienstentgang ausschließen sollte. Diese Regelung wird gerade vom Verfassungsgerichtshof auf ihre Verfassungskonformität geprüft. Sollte sie aufgehoben werden, würden sich schwierige Folgefragen stellen, wer etwa in welchem Umfang nun doch eine Entschädigung beantragen kann. Bei der Prüfung der Verfassungskonformität werden auch die sonstigen Maßnahmen der Bundesregierung zur Unterstützung von Betrieben (z.B. „Härtefall-Fonds“) miteinzubeziehen sein. Eine umfassend entschädigungslose Betriebsschließung wäre wohl ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Erwerbsfreiheit, zumal der Staat finanziell in der Lage ist, Ausfälle entsprechend abzufedern.

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