Das Familienrecht spiegelt vieles aus unserem Alltag wider – dabei ändern sich Lebensformen, Haltungen werden überdacht. Assoz. Prof. Dr. Thomas Schoditsch streicht in seinen jüngsten Publikationen „Gleichheit und Diversität im Familienrecht“ sowie „Familienrecht“ hervor, was sich alles getan hat, und zeigt, welcher rechtliche Rahmen um und für unsere Familien gezogen wird.
REWI: Hat sich im Familienrecht in letzter Zeit viel getan?
Thomas Schoditsch: In den vergangenen Jahren gab es einige wichtige Gesetzesänderungen wie etwa das 2. Erwachsenenschutzgesetz, das neue Fortpflanzungsmedizingesetz oder auch neue gesetzliche Bestimmungen für die Adoption. Eine zentrale Rolle haben im Familienrecht aber die Gerichte eingenommen: Insbesondere aufgrund der Judikatur von EGMR und VfGH wurde die Ehe für gleichgeschlechtliche Partner – und die Eingetragene Partnerschaft für verschiedengeschlechtliche Paare – geöffnet. Zudem hat der OGH wesentliche Änderungen beim Kindesunterhalt vorgenommen: Etwa im Zusammenhang mit dem „Familienbonus Plus“ oder dem „Doppelresidenz-Modell“ als neuem Konzept einer geteilten Kinderbetreuung in Trennungsfamilien.
REWI: Grundrechte im Familienleben… Wie kann man sich das vorstellen, wie fließen diese ein?
Thomas Schoditsch: Familienrecht ist wie kaum eine andere privatrechtliche Materie von den grundrechtlichen Rahmenbedingungen beeinflusst. So war etwa der Gleichheitssatz des Art. 7 B-VG ausschlaggebend für die Öffnung der Ehe, die Novellierung des Fortpflanzungsmedizinrechts oder den Judikaturwandel im Zusammenhang mit der Berechnung der Familienbeihilfe. Ebenso ist der Schutz des Privat- und Familienlebens (Art. 8 MRK) maßgebend für die Zulässigkeit familienautonom gewählter Betreuungsmodelle oder dem Recht zur Kindererziehung.
Grundrechte bieten für das Familienrecht damit einen Ansatzpunkt für neue Interpretationsmöglichkeiten – besonders für Gewährleistung von Gleichheit und Diversität. Dies betrifft ganz alltägliche Themen wie etwa die Grenzen höchstpersönlicher Pflichten der Ehegatten, die im Lichte des Art. 8 MRK verstärkt in der Disposition der Ehegatten liegen müssen. Ganz konkret: Darf es eine Pflicht zum ehelichen Sexualverkehr oder der Fortpflanzung geben? Und dürfen Gerichte tatsächlich Schadenersatzansprüche bei Ehebruch zusprechen? Ganz generell muss man sich die Frage stellen, ob das Verschuldensprinzip unseres Scheidungsrechts – das aus 1938 stammt (!) –grundrechtskonform ist. Wie die aktuelle Diskussion zur Eherechtsreform zeigt, bedarf es hier aufgrund des gesellschaftlichen Wandels der vergangenen 50 Jahre wohl einer Neuregelung.
REWI: Viel diskutiert wurde die Ehe für alle bzw. ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare.
Thomas Schoditsch: Die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften erfolgte in Österreich zunächst mit dem Gesetz über die eingetragene Partnerschaft aus 2010. Da auch gleichgeschlechtliche Paare den Schutz des Familienlebens iSd Art. 8 MRK für sich in Anspruch nehmen können, hat die Judikatur von EGMR und VfGH zahlreiche Änderungen erforderlich gemacht; dazu zählt etwa die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare bei der Adoption oder der medizinisch unterstützten Fortpflanzung. Diese Rechtsentwicklung hat letztlich zur „Ehe für alle“ geführt, sodass heute gleichgeschlechtliche Familien mit heterosexuellen Familien gleichgestellt sind. Allerdings gingen die wesentlichen Impulse für diese Rechtsentwicklung von Gerichten aus – und nicht vom Gesetzgeber: Das ist freilich demokratiepolitisch nicht unproblematisch.
REWI: Was erwartet die Leser_innen in Ihren beiden Publikationen zum Familienrecht?
Thomas Schoditsch: Das Buch „Gleichheit und Diversität im Familienrecht“ untersucht die Bedeutung von Grundrechtskonflikten und die Durchsetzbarkeit von Grundrechten für das Familienrecht. Am Beispiel der Eingetragenen Partnerschaft werden etwa die Grenzen für die gesetzliche Ungleichbehandlung aufgrund persönlicher Merkmale – wie sexuelle Orientierung, Geschlecht oder Religion – aufgezeigt. Zudem finden sich Lösungsvorschläge für aktuelle familienrechtliche Fragen wie der Zukunft der „Ehe für alle“, der Reichweite der Privatautonomie in der Ehe, dem Kindesunterhalt beim Doppelresidenzmodell oder der Kollision von Eltern- und Kinderrechten.
Das Buch „Familienrecht“ wiederum will Studierenden – aber auch Praktiker_innen – einen Überblick des Familienrechts bieten. Diese praxisnahe Publikation zeigt Strukturen dieses Rechtsgebiets auf und gibt einen Überblick über zentrale Problemstellungen unter Berücksichtigung aktueller höchstgerichtlicher Rechtsprechung. Im Sinn einer forschungsgeleiteten Lehre finden dabei die Erkenntnisse zur „Gleichheit und Diversität im Familienrecht“ an passender Stelle Eingang, um Studierende auf den neuesten Stand der Rechtsentwicklung zu bringen.
REWI: Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt?
Thomas Schoditsch: Aktuell arbeite ich an einer Kommentierung zum Eherecht im bekannten Klang-Kommentar zum ABGB. Im Frühjahr 2021 erscheint ein weiteres Buch zum „Unterhaltsanspruch des Kindes und seine Grenzen“, das insbesondere Vorschläge zu einer Reform des Kindesunterhaltsrechts macht. Dieses Thema wird gerade im Justizministerium intensiv diskutiert und in den nächsten Jahren neu geregelt: Deshalb soll die Publikation einen Beitrag zur Neuregelung dieses Rechtsbereichs leisten.