REWI: Willkommen an der REWI Graz, Frau Professor! Welche Eindrücke haben Sie an der Fakultät bislang gewonnen? Hat Sie Graz durch etwas überrascht?
Paulina Starski: Ich nehme die Universität Graz als einen außerordentlichen Ort wahr. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät begeistert mich durch ihre Interdisziplinarität, Offenheit, Internationalität und Exzellenz. Sie stellt im wahrsten Sinne des Wortes eine „Agora“ dar, die Raum zu intellektueller Entfaltung gibt. Das Professorium ist fabelhaft und ebenso die Studierendenschaft.
Graz ist eine wunderschöne, sehr weltoffene Stadt, die ich bereits jetzt ins Herz geschlossen habe. Es macht sich schon fast ein „dolce vita“-Gefühl breit.
REWI: War der Weg von der Jus-Studierenden bis zur REWI-Professorin für Öffentliches Recht und Global Governance mit Herausforderungen verbunden, die Sie so nicht erwartet hätten?
Paulina Starski: Der Weg erforderte sehr viel Ausdauer, Durchhaltevermögen und Optimismus. Wissenschaft ist ein Stück weit auch ein kleiner Kampf mit und gegen sich selbst. Wissenschaft ist Privileg und Bürde zugleich.
REWI: Von Hamburg aus zogen Sie in die Welt – New York, Sydney, Melbourne waren u.a. Stationen in Ihrer Laufbahn. Hat sich Ihr Blick auf das Recht durch diese verändert?
Paulina Starski: Meine Auslandsaufenthalte haben es mir erlaubt, meine Identität als Rechtswissenschaftlerin zu finden und die für mich „richtigen“ Fragen zu stellen. Ich kann ihre Bedeutung für mein wissenschaftliches Wirken und meine Lehrtätigkeit gar nicht hoch genug einschätzen. Meine Perspektive auf das Recht hat sich fundamental verändert und ich habe gelernt, „out of the box“ zu denken. Ich habe mein Methodenspektrum erweitern können und fokussiere mich zurzeit stark auf die Metaebene des Rechts – seine theoretischen Fundamente. Zudem habe ich persönliche und wissenschaftliche Freundschaften schließen können, die mein professionelles und persönliches Leben enorm bereichern.
REWI: Eine Begegnung, die für Sie besonders prägend war?
Paulina Starski: Mein Großvater hat mich zutiefst geprägt. Er war Jurist und Oppositioneller im kommunistischen Polen. Mein Großvater wuchs als Kind in ärmlichsten Verhältnissen in einer Nichtakademikerfamilie auf, schaffte es über glückliche Fügungen und seine – ich möchte schon fast sagen – Genialität zu studieren. Er ist der wesentliche Grund dafür, wieso ich Jus studiert habe und zudem nunmehr in der Wissenschaft bin.
REWI: Welchen spannenden neuen Ansätzen und Fragen spüren Sie in Ihrer Forschung nach?
Paulina Starski: Ich bin vielseitig interessiert und schwimme stets zu neuen „wissenschaftlichen Ufern“. Gerade beschäftigt mich die „offene Verfassungsstaatlichkeit“ und die Frage, wie unterschiedliche Verfassungsordnungen die Öffnung des nationalen Rechts gen der internationalen Ebene gestalten. Mich fasziniert zudem der Grundrechtsschutz in Europa als ein Mehrebenenproblem geprägt von judikativer Multipolarität, kollidierenden normativen Binnenlogiken und judikativen Konfliktvermeidungsstrategien. Ich forsche zu der Rechtsstaatlichkeitskrise in Polen und unionsrechtlichen Zugriffen hierauf. Ein weiteres Herzensprojekt ist eine Systematisierung grundrechtlich verankerter Klimaschutzklagen. Und zuletzt: Mich treibt die Dichotomie zwischen dem öffentlichen Recht und dem Privatrecht um. Zurzeit bemühe ich mich, ein fakultäts- und universitätsübergreifendes Forschungsprojekt zu Privatrechtsanleihen und Privatrechtsanalogien im Völkerrecht auf die Beine zu stellen.
REWI: Unlängst waren Sie als Expertin bei einer Anhörung im deutschen Bundestag zum Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich dabei. Ein gelungenes Abkommen?
Paulina Starski: Als völkerrechtlicher Vertrag bemüht sich das Handels- und Kooperationsabkommen, die Wirtschafts- und Rechtsbeziehungen nach dem Austritt eines Mitgliedstaates – eine unionsrechtliche Premiere – zu regeln. Das Abkommen ist in keinerlei Hinsicht klassisch, weder stellt es ein typisches Handelsabkommen noch ein „gewöhnliches“ Assoziierungsabkommen dar. Es ist singulär. Gleichzeitig prägt das Abkommen Instabilität und Dynamik. Diese wird zum einen durch zahlreiche Kündigungs-, Teilkündigungs-, Suspendierungs- und Aussetzungsklauseln, zum anderen durch die vertraglich verankerte Pflicht der Vertragsparteien, das Abkommen im Turnus von fünf Jahren zu überprüfen, bedingt. Nicht ausgeschlossen ist, dass das Handels- und Kooperationsabkommen bei langfristiger Kooperation auch zum Fundament darauf aufbauender konkretisierender Vereinbarungen werden kann und so zu einem Stabilitätsfaktor wird. Dies ist jedoch eine Frage des politischen Willens und auch des gegenseitigen Vertrauens zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union. An der bestehenden Unsicherheit ändert dieser optimistische Ausblick nichts. Ob das Handels- und Kooperationsabkommen am Ende Ausgangspunkt guter Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich wird, wird die Zeit zeigen. Mein vorläufiger Befund wäre: Das Handels- und Kooperationsabkommen ist sehr dünn.
REWI: Begeisterung bei Studierenden zu wecken, gelingt durch…
Paulina Starski: …meine Begeisterung für die Materie, die ich lehre und zu der ich forsche. Diese Begeisterung zeige ich recht offensiv. Zudem nehme ich Studierende ernst und lehre sehr stark diskursiv sowie hinterfragend. Die sokratische Methode wirkt Wunder! Ich liebe den Hörsaal und meine Leidenschaft scheint zu begeistern.
REWI: Was möchten Sie in Ihrer Freizeit nicht missen?
Paulina Starski: Reisen mit meinem Mann und meinem kleinen Sohn Emil, Kunst, Theater- und Opernbesuche, Dinnerabende mit Freunden, den Gelben Muskateller, Literaturklassiker, Kinoabende und die Entdeckung cineastischer Kleinode.