(Interview geführt am 21. April 2020)
REWI: Aktuell stellt sich für viele, sowohl Private als auch Geschäftsleute, die zumeist existenzielle Frage, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf bestehende Mietverträge hat. Wie ist die rechtliche Situation?
Ulfried Terlitza: Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Es kommt zunächst vor allem darauf an, welche konkreten Auswirkungen sich aus der Corona-Krise für ein Mietverhältnis ergeben. Es macht beispielsweise einen ganz entscheidenden Unterschied, ob der Mieter einer Wohnung aufgrund der Corona-Krise von seinem Arbeitgeber in Kurzarbeit geschickt oder gar gekündigt wird und daher so starke finanzielle Einbußen hat, dass er den vereinbarten Mietzins nicht mehr aufbringen kann, oder ob der Mieter eines Gastronomiebetriebs sein Geschäftslokal aufgrund des verordneten Lockdown schließen musste und es also nicht mehr nutzen kann. Es empfiehlt sich daher jedenfalls, zwischen Wohnungsmiete und Geschäftsraummiete zu differenzieren.
REWI: Wie sieht die rechtliche Situation für Mieter_innen einer Wohnung aus? Gibt es für diese Erleichterungen, wenn sie den Mietzins aufgrund der Corona-Krise nicht aufbringen können?
Ulfried Terlitza: Das Zivilrecht im Allgemeinen und das Mietrecht im Besonderen sehen solche Erleichterungen an sich nicht vor. Die mangelnde Leistungsfähigkeit des Schuldners ist im Vertragsrecht – unabhängig von ihrer Ursache – gerade kein Grund, an seiner Zahlungsverpflichtung zu rütteln. Insbesondere ist für den in Zahlungsschwierigkeiten geratenden Mieter aus der bestandrechtlichen Bestimmung des § 1104 ABGB nichts zu gewinnen. Dort ist zwar auch von einer „Seuche“ und ihren Auswirkungen die Rede, diese muss jedoch Einschränkungen der Nutzbarkeit des Mietgegenstandes nach sich ziehen – die gemietete Wohnung ist allerdings weiterhin vollkommen uneingeschränkt nutzbar (und sie wird aufgrund der Ausgangsbeschränkungen womöglich sogar verstärkt genutzt).
Die Härte dieser rechtlichen Ausgangslage hat der Gesetzgeber jedoch nun im Rahmen des 4. COVID-19-Gesetzes etwas zu mindern versucht. Dort ist (in § 1 des in diesem Paket beschlossenen 2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetzes) geregelt, dass Mieter, die ihren Mietzinszahlungspflichten für April, Mai und Juni 2020 nicht nachkommen können, allein aus diesem Grund nicht gekündigt und die ausständigen Mietzinse im Jahr 2020 nicht gerichtlich eingefordert werden können. Voraussetzung dafür ist zum einen, dass es sich um Mieter von Wohnungen handelt – für Geschäftsräume greift die Erleichterung nicht –, und zum anderen, dass diese Wohnungsmieter als Folge der COVID-19-Pandemie in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit „erheblich beeinträchtigt“ sind.
REWI: Aber ist das nicht eine erhebliche Beeinträchtigung der Vermieter_innen?
Ulfried Terlitza: Nur auf den ersten Blick. Denn die neue Regelung sieht keinen Erlass oder keine Minderung der Mietzinsschulden, sondern lediglich eine Art gesetzliche Stundung vor. Die ausständigen Mietzinse müssen nämlich bis spätestens zum Jahresende 2020 vollständig nachgezahlt werden, und zwar zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von 4 %. Geschieht das nicht, hat der Vermieter ab dem 1.1.2021 grundsätzlich wieder alle entsprechenden rechtlichen Reaktionsmöglichkeiten; gegebenenfalls sogar (ungeachtet der zunächst Gegenteiliges nahelegenden Übergangsbestimmungen) bis hin zur Kündigung. Die Nachteile für den Vermieter wirken also zeitlich eng begrenzt, in wirtschaftlicher Hinsicht werden sie zudem vielfach durch andere COVID-19-Erleichterungen (etwa jene für Kreditnehmer) abgefedert.
Was schwerer wiegt: In Wahrheit ist Mietern mit dieser COVID-19-Sonderregelung nur sehr bedingt geholfen. Denn sie müssen ab dem 2. Halbjahr 2020 nicht nur die vollen dann fälligen Mietzinszahlungen leisten, sondern auch jene Mietzinsteile, die sie für April, Mai oder Juni 2020 nicht aufbringen konnten, einschließlich der sich daraus ergebenden Verzugszinsen. Es ist unschwer abzusehen, dass diese zu den regulären Zinszahlungen hinzutretenden Nachzahlungspflichten die Leistungsfähigkeit vieler Mieter selbst unter normalen bzw normalisierten Bedingungen überspannen werden.
REWI: Was gilt für Mieter_innen von Geschäftsräumen? Gibt es für diese Erleichterungen in Zusammenhang mit der Corona-Krise?
Ulfried Terlitza: Für Mieter von Geschäftsräumen – und auch für Pächter von in solchen betriebenen Unternehmen – hält in vielen Fällen bereits der zuvor angesprochene § 1104 ABGB eine Lösung bereit. Führt nämlich ein „außerordentlicher Zufall“, ein Ereignis also, das von Menschen nicht beherrscht werden kann und das außerhalb der Einflusssphäre der Vertragspartner liegt, wie beispielsweise, so das Gesetz, eine „Seuche“, dazu, dass das Bestandobjekt gar nicht gebraucht werden kann, ist der Mieter oder Pächter von seinen Zinszahlungspflichten befreit – und zwar anders als im zuvor dargestellten Fall des Wohnungsmieters endgültig befreit. Dass die COVID-19-Pandemie eine solche „Seuche“ darstellt, steht inzwischen außer Zweifel. Und wenn nun im Zuge der Bekämpfung dieser Pandemie die Schließung des betreffenden Geschäftslokals behördlich angeordnet bzw der vereinbarte Geschäftsbetrieb untersagt wird, wird wohl § 1104 ABGB verwirklicht sein.
Trefflich streiten wird sich jedoch auch in einem solchen Fall darüber lassen, ob und wieweit dem Mieter oder Pächter nicht ungeachtet der angeordneten Schließung des Geschäftslokals ein alternativer Geschäftsbetrieb zugemutet werden kann. Muss also etwa der Pächter einer Gastwirtschaft zwar das Lokal für Gäste geschlossen halten, kann er jedoch seinen Lieferservice weiterführen (oder einen solchen auch erstmals anbieten?), ist die Nutzung des Bestandobjekts nicht gänzlich unmöglich. Dann dürfen die Mietzinszahlungen freilich nicht zur Gänze entfallen, sie sind vielmehr im Sinne des § 1105 ABGB weiterhin verhältnismäßig zum zumutbaren Geschäftsbetrieb zu entrichten.
Ein besonderer Fallstrick kann überdies im jeweiligen Mietvertrag verborgen sein: Die Anwendung des § 1104 ABGB kann vertraglich ausgeschlossen bzw das Risiko für außerordentliche Zufälle auf den Mieter überwälzt werden. Ist das der Fall, bleiben die Zinszahlungspflichten von der Corona-Krise überhaupt unberührt.
REWI: Und was gilt für Mieter_innen von Geschäftsräumen, deren Unternehmen von den Corona-Maßnahmen nicht direkt, also etwa durch eine angeordnete Schließung, betroffen sind?
Ulfried Terlitza: Mieter oder Pächter von Geschäftsräumen, die in ihrem Geschäftsbetrieb nicht durch spezielle Anordnungen im Zuge der COVID-19-Pandemie eingeschränkt sind, sondern die nur unter den allgemeinen Auswirkungen der Pandemiemaßnahmen zu leiden haben, indem etwa aufgrund des Social Distancing Kunden ausbleiben und Arbeitsprozesse erschwert werden oder die Umstellung auf Homeoffice die Geschäftsräume vorübergehend leerstehen lässt, ist die Berufung auf § 1104 ABGB versagt. Ihnen steht die Nutzung des Geschäftsraumes ja grundsätzlich weiterhin uneingeschränkt offen.
Ein letztes Wort noch zur Geschäftsraummiete: Ist es nicht die seuchenbedingte Unbenutzbarkeit des Mietgegenstandes, die das Mietverhältnis stört, sondern die aus anderen coronabedingten Gründen verminderte Leistungsfähigkeit des Mieters, die ihn an der Erfüllung seiner Zahlungspflichten hindert, genießt der Geschäftsraummieter keinerlei besonderen Schutz. Er verletzt seine Verpflichtung zur Zinszahlung und setzt damit einen Kündigungsgrund.