(Interview geführt am 22. April 2020)
REWI: Alle reden von Online-Lehre und Online-Prüfungen in Zeiten von Corona – wie aber wirkt sich die Krise auf die Forschung aus?
Eva Schulev-Steindl: Also die Forschung steht nicht still – ganz im Gegenteil: man hat endlich einmal Zeit, längst überfällige Beiträge fertigzustellen und neue Projekte zu entwickeln. Durch die Verlangsamung des Alltagslebens fällt es derzeit leichter, sich zu fokussieren und kreative Gedanken zuzulassen – etwas, das sonst oft nur am Wochenende oder in den Ferien möglich ist!
Das heißt aber natürlich nicht, dass Forscherinnen und Forscher sich jetzt in einen „Elfenbeinturm“ zurückziehen könnten. Moderne rechtswissenschaftliche Forschung ist vielfach Teamarbeit, sie ist international vernetzt, interdisziplinär und stark drittmittelorientiert. Das heißt, es sind laufend neue Ausschreibungen von Forschungsprogrammen zu verfolgen und Einreichfristen zu beachten. Hier gibt es allerdings wegen der Corona-Krise oft Fristerstreckungen. Regelmäßig „trifft“ man sich mit seinen Forschungspartnern auch per Videokonferenz, das ist aber gerade bei internationalen Forschungsprojekten nichts Neues, sondern war schon vor Corona Standard.
REWI: Wie ist es um den Zugang zu den nötigen Ressourcen für die Forschung bestellt?
Eva Schulev-Steindl: Der ist natürlich nicht ganz so einfach wie in normalen Zeiten. Aber die Rechtswissenschaften haben da im Vergleich zu den Naturwissenschaften einen großen Vorteil: Wir müssen keine Labors mit Zellkulturen etc. betreuen. In unserer „Buchwissenschaft“ braucht es einen innovativen, kreativen Kopf und im Kern nicht viel mehr als einen Computer mit Internetanschluss.
Besonders Bücher sind aber leider nicht immer auch online verfügbar. Hier bemühen wir uns gemeinsam mit der Bibliothek, die den Online-Zugang zu ihren Ressourcen seit Ausbruch der Pandemie wesentlich ausgebaut hat, um eine weitere Erhöhung des Online-Angebots. Der Forschung im Homeoffice soll es also an nichts fehlen!
REWI: Welche Anstöße kommen aus der derzeitigen Situation für eine stärkere Digitalisierung in der rechtswissenschaftlichen Forschung?
Eva Schulev-Steindl: Einen wichtigen Impuls sehe ich in Richtung Open Access. Weil es eben – auch im Unterschied zu anderen Wissenschaftsbereichen – im Recht noch nicht ganz selbstverständlich ist, dass Fachliteratur digital im Internet abrufbar ist, so denke ich, wird aus der „Not“ eine Tugend gemacht werden und sich die frei zugängliche Publikation wissenschaftlicher Literatur im Internet auch in der Rechtswissenschaft durchsetzen. Damit wird die Forschung zugleich auch viel sichtbarer, vor allem international. Open Access zu publizieren, gehört meiner Meinung nach die Zukunft – ich möchte daher besonders Jungforscherinnen und -forscher dazu ermuntern.
Ein weiterer Trend könnte in Richtung wissenschaftlicher Online-Konferenzen gehen. In Zeiten des Klimawandels, der spätestens nach dem nächsten heißen Sommer bzw. nach Abflauen der Pandemie wieder mehr in unser Bewusstsein rücken wird, ist Kongresstourismus ja oft mit „Flugscham“ verbunden – virtuelle Tagungen im Netz liegen also nahe. An der REWI wollen wir das Mitte Juni gerade im Zusammenhang mit dem Klimaschutz probieren: das Eröffnungssymposium für unser derzeit in Gründung befindliches Forschungszentrum zum Klimaschutzrecht „ClimLaw Graz“ soll als Online-Konferenz gehalten und live im Netz gestreamt werden.
Etwas begrenzt sind solche Online-Tagungen aber noch durch die technischen Gegebenheiten, vor allem braucht es noch leistungsfähigere Software. Aber, ganz wird sich das Live-Erlebnis ohnehin nie ersetzen lassen und das wäre im Sinne einer Vernetzung der Scientific Community auch gar nicht wünschenswert: Sind doch bekanntlich für viele die Pausengespräche bei Konferenzen oft wichtiger als der eine oder andere wissenschaftliche Vortrag – den man später meist ohnehin nachlesen kann.
REWI: Ergeben sich aus der Corona-Krise auch neue Forschungsthemen für Juristinnen und Juristen?
Eva Schulev-Steindl: Ja da gibt es viele interessante Dinge! Wie sich das Recht in der Krise entwickelt, welche Antworten es, basierend auf den Empfehlungen anderer Wissenschaften, zu ihrer Bekämpfung findet und welche Spannungsverhältnisse dadurch mit klassischen verfassungsrechtlichen Grundwerten und Grundrechten entstehen. All das muss von der Rechtswissenschaft, auch in Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, analysiert und kritisch begleitet werden.
Eine erste Gelegenheit dazu gibt es bereits jetzt in unserem aktuellen Seminar zum Thema „Covid-19: Wie krisenfest ist die österreichische Rechtsordnung?“. Da beschäftigen wir uns mit den Freizügigkeitsbeschränkungen und Betriebssperren, der Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung, dem Einsatz von Medizinalgorithmen (Schlagwort „kalkuliertes Sterben?“), der Verwendung von künstlicher Intelligenz und Big Data zur Bekämpfung von Covid-19, „sanfter“ Verhaltenslenkung in der Krise durch den Staat usw. (ab 11. Mai, nähere Infos finden Sie hier).
REWI: Was bedeutet die „neue Normalität“ unseres Lebens für Sie persönlich?
Eva Schulev-Steindl: Normal ist derzeit, dass ich oft mehrere Videokonferenzen am Tag habe – nicht nur mit Forschungspartnern, sondern auch im Rahmen des laufenden Fakultätsbetriebes; wir mussten und müssen ja derzeit viele Abläufe an der REWI neu planen und strukturieren. Das ist zeitintensiver und oft herausfordernder als klassische Meetings, auch fehlt einem natürlich der persönliche Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen. – Andererseits aber gibt es jetzt privat Dinge, die ich gerne in „Normalzeiten“ hinüberretten würde, so z.B. mehr Zeit, den Garten zu genießen, und Gelegenheit für schöne Spaziergänge und Ballspiele mit dem Hund!