„Ja, grundsätzlich wäre eine Impfpflicht möglich. Sie stellt zwar einen Eingriff in die Grundrechte dar, kann aber im Zeichen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt werden“, bringt Anja Krasser vom Institut für Öffentliches Recht ihr Urteil auf den Punkt. Bedingung ist eine Abwägung der Risiken, die eine Impfung mit sich bringt, mit denen, die von der Krankheit ausgehen. „Dieses Ausloten muss für jede Impfung beziehungsweise jede Krankheit gesondert durchgeführt werden“, so Krasser. Auch im Fall von Covid-19 muss sich der Gesetzgeber also anschauen, ob für die Bevölkerung die Gefahr einer Erkrankung größer ist als die Impfung. Vereinfacht gesagt: Besteht etwa das Risiko, an den Folgen einer Infektion zu versterben, ist Fieber als Folge der Immunisierung durchaus zumutbar. „Neben der generellen Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Nebenwirkungen und Folgeschäden durch die Impfung ist auch das individuelle Risiko der betroffenen Personen in die Entscheidung miteinzubeziehen“, führt die Juristin aus. Weitere relevante Faktoren sind die Wahrscheinlichkeit einer Infektion bei fehlender Immunisierung sowie der durch den Eingriff erzielte Nutzen für die Gesellschaft. „Das öffentliche Interesse an der Vornahme einer Impfpflicht wiegt schwerer, je deutlicher das Auftreten der Krankheit durch die Impfung reduziert oder gar verhindert werden kann“, ergänzt Krasser.
Was ist, wenn Geschäfte oder Gasthäuser nur mehr Geimpfte einlassen wollen? Dieses Szenario wurde ja bereits entworfen. „Damit würde faktisch eine Impfpflicht vorliegen. Es ist nämlich eigentlich irrelevant, ob der Staat eine Strafe verhängt oder andere Folgen an das Nichtimpfen knüpft“, argumentiert die Juristin. In einem solchen Fall stellt sie in Frage, ob die Maßnahme verhältnismäßig wäre. „Der Gesetzgeber muss bei mehreren Möglichkeiten immer dasjenige Mittel wählen, das zum Ziel führt und dabei am wenigsten einschneidend ist“, erklärt Krasser. Man könne jedenfalls Menschen nicht einfach von der Grundversorgung ausschließen.