REWI Uni Graz: Warum werden Bewertungsplattformen so kontrovers diskutiert, wo liegt das Problem?
David Bierbauer: Problematisch ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass hinsichtlich der auf Bewertungsplattformen abrufbaren Informationen zwei unterschiedliche (jeweils legitime) Interessen miteinander kollidieren: Die Privatsphäre von betroffenen Personen auf der einen Seite und die Meinungs- und Informationsfreiheit der Öffentlichkeit auf der anderen.
Die Frage, ob die Bewertungsplattform „Lernsieg“ datenschutzrechtlich in Ordnung ist, kam zuletzt bis hinauf zum OGH…
Der Oberste Gerichtshof (OGH), wie auch das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), bestätigten vor Kurzem, dass die Lehrer:innen-Bewertungsplattform „Lernsieg“ (datenschutz)rechtlich zulässig ist. Begründet wurden diese Entscheidungen unter anderem damit, dass Bewertungen auf dieser Plattform von der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt seien.
Worum handelt es sich bei „Lernsieg“ und was kann auf dieser Plattform bewertet werden?
Bei dieser Plattform handelt es sich vereinfacht gesagt um eine App, mit der Schüler:innen nach einem vorgegebenen Punktesystem Lehrkräfte an der eigenen Schule bewerten können. Zu den bewertbaren Kriterien zählen etwa Unterricht, Geduld, Erklärungsstil, Vorbereitung und Fairness. Frei formulierte bzw. „offene“ Kommentare können nicht verfasst werden. Um Mehrfachbewertungen zu verhindern, müssen sich bewertende Nutzer:innen mit ihrer Handynummer registrieren; die abgegebenen Bewertungen selbst sind jedoch anonym.
Wie entstand der Rechtsstreit zur Lernsieg-App?
Der vorliegende Fall nahm seinen Ursprung in einem amtswegig eingeleiteten Prüfverfahren der Datenschutzbehörde (DSB), nachdem verschiedene Medien über die Bewertungsplattform berichtet hatten. Weil dieses Prüfverfahren – zugunsten von „Lernsieg“ – eingestellt wurde, machten betroffene Lehrkräfte von unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch, die dann auch zu mehreren Verfahren führten. Die jüngst ergangenen Entscheidungen sind die Ergebnisse dieser Verfahren.
Wo lagen die rechtlichen Bedenken bei der Lernsieg-App?
Auf der angesprochenen Bewertungsplattform werden personenbezogene Daten von Lehrkräften verarbeitet, mit denen diese direkt identifizierbar sind (Vorname, Familienname und akademischer Titel). Damit greift die zugrundeliegende Datenverarbeitung in (datenschutzbezogene) Geheimhaltungsinteressen dieser Lehrer:innen ein. Zugleich sind die Bewertungen auf der Plattform jedoch auch durch die Meinungs- und Informationsfreiheit geschützt und dienen einem Interesse der Allgemeinheit.
Diese unterschiedlichen Interessen stehen sich somit konträr gegenüber und können nicht gleichzeitig befriedigt werden; das erzeugt (nicht nur rechtlich) ein eklatantes Spannungsverhältnis.
Wie können diese widersprüchlichen Positionen – Datenschutz und Meinungsäußerungsfreiheit – miteinander in Einklang gebracht werden?
Die Rechtsordnung eröffnet im Datenschutzrecht an unterschiedlichen Stellen die Möglichkeit sog. „Interessenabwägungen“ vorzunehmen (z.B. in Art 6 Abs 1 lit f DSGVO). Das heißt, die unterschiedlich verteilten Interessen können in einem konkreten Fall gewichtet und gegenübergestellt werden. Bei „Lernsieg“ ist diese Abwägung zugunsten der Meinungsäußerungsfreiheit ausgegangen, weswegen die Verarbeitung als rechtmäßig qualifiziert wurde. Das bedeutet jedoch nicht, dass datenschutzrechtliche Bestimmungen damit völlig ausgehebelt wurden: So sind insbesondere technische und organisatorische Schutzmaßnahmen zur Absicherung der betroffenen Lehrer:innen sicherzustellen. Darunter fällt etwa, dass Maßnahmen zur Missbrauchsprävention der App getroffen werden müssen.
Einen weiteren Balanceversuch der Rechtsordnung finden wir bei Datenverarbeitungen zu „journalistischen Zwecken“. Diese werden nämlich besonders privilegiert und weitgehend von den Bestimmungen des Datenschutzrechts ausgenommen, man spricht auch vom sog. „Medienprivileg“ nach Art 85 DSGVO. Ohne eine Privilegierung dieser Zwecke wäre weder investigativer Journalismus möglich, noch könnten die Medien ihrer Funktion als quasi „vierte Gewalt“ im demokratischen Verfassungsstaat nachkommen. Wie weitreichend diese Privilegierung für journalistische Zwecke sein darf, um einen gerechten Ausgleich zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Datenschutz herzustellen, wird in der Wissenschaft allerdings heftig diskutiert.
Was ist unter dem Begriff „journalistische Zwecke“ zu verstehen, der im Datenschutzrecht besondere Ausnahmen ermöglicht?
Der Begriff „journalistische Zwecke“ eröffnet grundsätzlich die Anwendung des Medienprivilegs und ist weit zu verstehen. Neben klassischen Printmedien umfasst er auch digitale Verarbeitungsformen im Internet, wenn diese geeignet sind, einen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu leisten. Allerdings kann nicht jegliches Veröffentlichen von Informationen im Internet als journalistische Tätigkeit angesehen werden. Es muss wenigstens ein Mindestmaß an journalistischer Bearbeitung stattfinden.
Fallen Bewertungsportale unter die Definition der „journalistischen Zwecke“?
In der Vergangenheit wurde immer wieder versucht, sich in (Datenschutz-)Verfahren auf „journalistische Zwecke“ zu berufen, um aus dem Regime des Datenschutzrechts herauszufallen. Auch im hier angesprochenen Fall zur Bewertungsplattform „Lernsieg“ wurde vorgebracht, dass die konkrete Verarbeitung eine journalistische Tätigkeit sei und somit unter das Medienprivileg falle. Allerdings ohne Erfolg: Das bloße Bereitstellen eines Bewertungsportals wird nicht als ausreichend für die Qualifikation als journalistischer Zweck angesehen.
Damit sind Bewertungsportale im Ergebnis zwar vom Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit geschützt, sie können sich aber nicht auf das Medienprivileg berufen und müssen sich innerhalb der einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorgaben bewegen. Das bedeutet unter anderem, dass sie eine Rechtsgrundlage für ihre Verarbeitung brauchen, Transparenzpflichten erfüllen müssen und – die schon angesprochenen – Schutzmaßnahmen zur Missbrauchsprävention zu treffen sind.
Kann sich eine private Bloggerin, die journalistisch arbeitet, auf das Medienprivileg berufen?
Auch dieser Punkt wird wissenschaftlich diskutiert: Unionsrechtlich sollte Bürger:innenjournalismus, der eine meinungsbildende Wirkung für die Allgemeinheit bezweckt, privilegiert sein. Jedoch schränkt der österreichische Gesetzgeber die Anwendbarkeit des Medienprivilegs im Wesentlichen auf Medienunternehmen und Mediendienste ein. Es sprechen gute Argumente dafür, dass diese Einschränkung rechtswidrig ist. Ob sich diese Situation für private Journalist:innen künftig verbessern wird, bleibt mit Spannung abzuwarten. An diesem Beispiel zeigt sich wieder, wie schwer sich der Gesetzgeber dabei tut, Meinungsäußerungsfreiheit und Datenschutz miteinander in Einklang zu bringen.
Hinweis: Meinungsäußerungsfreiheit und Datenschutz ist am 4. April ein Thema bei den 10. Grazer Datenschutz-Gesprächen. Nähere Infos über die Veranstaltung finden Sie hier.