Was muss Gott aushalten, was die Gläubigen – und was darf die Kunst in diesem Zusammenhang, wo aber geht sie zu weit? Dekanin Gabriele Schmölzer eröffnete die an diesen Fragen orientierte Veranstaltung gleich thematisch und verwies auf Graz als Ort der Auseinandersetzung von Religions- und Kunstfreiheit. Ende 1983 nämlich, knapp eineinhalb Jahre nach dem einstimmigen Beschluss im Parlament, die Kunstfreiheit in einem neuen Art. 17a in das Staatsgrundgesetz (StGG) und damit in den Grundrechtekatalog Österreichs aufzunehmen, wurde Herbert Achternbuschs Film „Das Gespenst“ von der Staatsanwaltschaft Graz beschlagnahmt (Details zur Kontroverse um den Film hier). Umso örtlich wie thematisch passender waren somit die Einlassungen, die in den folgenden eineinhalb Stunden unter Moderation von Antonia Bruneder von Künstlerin Ingrid Bartel, dem katholischen Priester und Kunsthistoriker Alois Kölbl, der islamischen Religionspädagogin Amira Sharawi und Wolfgang Wieshaider (Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien, u. a. wissenschaftliche Leitung des LL.M. Religionsrecht) kamen.
Ingrid Bartel unterstrich, dass ihr in ihrer durchaus kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der katholischen Kirche der Respekt vor den fotografierten Frauen und ihren Körpern – sie stellt etwa auch Frauen, die wegen Brustkrebs operiert wurden, dar, um auf das Thema aufmerksam zu machen – ebenso wichtig sei wie der Respekt vor dem Gegenüber, also den Gläubigen. Deshalb sei Provokation nicht Teil ihres künstlerischen Schaffens, wobei die österreichische Justiz aus ihrer Sicht auch mit provokanter Kunst recht gut umgehe. Prozesse gegen die Karikaturisten Haderer und Deix im Zusammenhang mit religiösen Themen hätten richtigerweise nicht in Verurteilungen geendet. Die Enthauptung einer Skulptur einer gebärenden Maria im Linzer Mariendom im Sommer 2024 (siehe hier) führte sie als Beispiel dafür an, dass die Wahrnehmung von Provokation bei Gläubigen auch sehr unterschiedlich ausfallen könne.
Wolfgang Wieshaider ging darauf ein, dass die Herabwürdigung religiöser Lehren gem. § 188 StGB nichts mit dem Schutz Gottes vor Schmähungen, sondern vielmehr damit zu tun habe, den religiösen Frieden zu wahren. Dies sei als immanente Schranke der Kunstfreiheit gem. Art. 17a StGG zu sehen. Fälle von Verurteilungen von Kunstschaffenden nach § 188 StGB lägen lange zurück, Kunstszene und Gerichte hätten sich somit wohl gut aufeinander eingespielt, wobei die Justiz richtigerweise sehr vorsichtig vorgehe. Rezente Fälle, in denen nach § 188 StGB angeklagt bzw. verurteilt wurde, beträfen eher „einfache“ Meinungsäußerungen, oftmals in der Nähe des § 283 StGB (Verhetzung).
Aus Sicht der islamischen Theologie bzw. Religionspädagogik legte Amira Sharawi dar, dass die vorherrschende Lehre des Koran von Gläubigen einerseits erwarte, andere Glaubensrichtungen zu respektieren und somit keine Blasphemie zu üben. Dies werde wechselseitig auch von anderen Glaubensrichtungen erwartet. Wo Muslime Blasphemie wahrnähmen, sollten sie sich nach dem Koran distanzieren und Nachsicht üben. Das Beschützen von Heiligtümern sei überdies nach der Sunna Aufgabe Gottes, nicht des Menschen. Der Terroranschlag auf Charlie Hebdo sei somit weder nach dem Koran, noch nach der Sunna zu rechtfertigen. Ein absolutes Bilderverbot, wie es in der Öffentlichkeit teils dargestellt werde, gebe es im Islam nicht, schon gar nicht im Koran – vielmehr seien in der seit dem 8. Jahrhundert andauernden Entwicklung der Lehre drei Richtungen zu unterscheiden: eine generell bilderfeindliche, die Bildnisse von Lebewesen generell verbiete, eine grundsätzlich bilderfreundliche, die nur Bildnisse des Propheten verbiete, und eine grundsätzlich liberale, sufistische Lehre.
Alois Kölbl merkte darauf rekurrierend an, dass der Bilderstreit des 8./9. Jahrhunderts in der katholischen Kirche nicht zufällig gleichzeitig mit jenem im Islam passiert sei. Man habe diese Frage und damit die „Urprovokation“ damals gelöst: Im katholischen Glauben darf Gott bildlich dargestellt werden. Die Worte „Beleidigung“ und „Gott“ sah Kölbl als grundsätzlich inkompatibel an, religiöse Beleidigung käme eher bei Menschen vor, die ein Problem mit ihrem Gottesbild haben. Esther Strauß‘ gebärende – und dann enthauptete – Maria habe in diesem Zusammenhang aus seiner Sicht keineswegs blasphemisch provozieren wollen, sei sie doch nicht im für die Liturgie vorgesehenen Raum ausgestellt worden. Es handle sich somit um eine respektvolle Auseinandersetzung mit einer religiös-sozialen Frage. Ingrid Bartels Werk „die Päpstin“ sei ebenso ein gelungener Hinweis auf eine zu führende Diskussion über die Rolle der Frau in der Kirche.
In der Schlussrunde ging man noch gemeinsam auf das Verhältnis zwischen religiösen Bauwerken als Kunst- bzw. Kulturgüter, der Gesamtgesellschaft und dem Glauben an sich ein. In Reaktion auf Publikumsfragen war man sich einig, dass es eine gemeinsame Aufgabe von Bildungsarbeit, Religionsgemeinschaften und des Rechts sei, zwischen (scheinbar) widerstreitenden Positionen zu vermitteln und so auf ein gutes Zusammenleben hinzuwirken.