REWI Uni Graz: Welcher Forschungsfrage gehen Sie momentan nach?
Hannes Schütz: Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, weil ich immer mit mehreren Forschungsfragen gleichzeitig zu tun habe. Im Augenblick beschäftigt mich z.B. die Strafbarkeit von Missbräuchen bei der Verwendung verschiedener Online-Zahlungsinstrumente und der strafrechtliche Schutz von Kryptowährungen, aber gleichzeitig sind auch der Beginn der Versuchsstrafbarkeit, die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit und das strafprozessuale Doppelverfolgungsverbot in meinem Kopf.
Wie sind Sie auf diese Fragen gestoßen?
Meistens begegnen sie mir als ungelöste Fallkonstellationen im Alltag, etwa bei einem Medienbericht über einen Kriminalfall oder über eine Gerichtsverhandlung. Aber auch eine unbefangene Frage im Hörsaal (z.B. ob man bei einer Tötung im Affekt überhaupt Vorsatz haben kann) kann sich schnell als komplexe Forschungsfrage entpuppen. Und selbst bei ausgefallenen Detailfragen ist eine ganzheitliche Betrachtung notwendig – im Strafrecht und Strafprozessrecht geht es letztlich immer um verschiedene Ausformungen der Grundfrage, wie seitens der Gesellschaft bzw. des Staates auf schwere Verfehlungen zu reagieren ist.
Wie finden Sie bei Ihren Forschungsfragen den Weg zur Lösung?
Oft gibt es keine eindeutige Lösung, aber doch zumindest ein oder mehrere Ergebnisse. Beim eigentlichen Forschungsprozess ist es meistens so, dass eine Frage die nächste ergibt: Wenn man einer Frage wirklich auf den Grund gehen möchte (zum Beispiel, ob eine bestimmte übertriebene Online-Werbung ein Betrugsversuch ist), tauchen bald weitere, grundlegendere Fragen auf, die ebenso gelöst werden müssen (zum Beispiel, was genau eine Täuschung ist oder wann genau beim Betrug die Versuchsstrafbarkeit beginnt). Praktisch heißt das, dass man anfangs bereit sein muss, sich von der Forschungsfrage zu entfernen, auch wenn der Prozess dadurch verkompliziert und verlangsamt wird. Die zweite wichtige Voraussetzung wäre aus meiner Sicht, dass man versuchen muss, sich den Fragen so ergebnisoffen wie möglich zu stellen – man sollte also ständig auf der Suche nach dem eigenen „blinden Fleck“ sein. Zu den Ergebnissen gelangt man dann, wenn man bei jenen Fragen angekommen ist, die sich nicht mehr lösen lassen. Kann man das strafrechtliche Auslegungsproblem vor dem Hintergrund dieser unlösbaren Fragen noch auf den Punkt bringen, ist man fertig. Mehr Erkenntnis ist dann (zumindest vorläufig) nicht möglich.
Gibt es sonst Neues im Strafrecht?
Ja, es gibt ständig Neues und da muss man immer versuchen am Ball zu bleiben. Derzeit beschäftigen wir uns zum Beispiel mit den in Kraft getretenen Reformen zur Suizidbeihilfe, zur Geldwäscherei und zu den unbaren Zahlungsmitteln. Außerdem gibt es Reformpläne bei den freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahmen, beim Korruptionsstrafrecht oder beim Weisungsrecht der Justizministerin. Bei den rechtspolitischen Themen, also bei den für die Zukunft geplanten Änderungen, ist es schwieriger wissenschaftlich fundierte Aussagen zu machen und man muss aufpassen, dass man sie nicht mit persönlichen Werthaltungen vermischt. Allgemein kann man nur sagen, dass gerade im Strafrecht leider oft ein hoher Druck in der Politik und in den Medien entsteht, dass mit einer Reform ein „großer Wurf“ gelingt, also gewissermaßen das Rad neu erfunden wird . Ein gut geplanter „kleiner Wurf“ wäre solchen Reformen oft vorzuziehen.
Wie ist Ihre Begeisterung für das Strafrecht entstanden?
Meine Begeisterung für Wissenschaft im Allgemeinen (z.B. für Physik oder auch für Geschichte) war schon sehr früh vorhanden und zu Beginn des Jusstudiums waren es dann die historischen Fächer wie Römisches Recht und Rechtsgeschichte, die mich fasziniert haben. Man konnte sehen, dass sich manche juristischen Probleme seit Jahrhunderten kaum verändert haben, dass es im Recht aber trotzdem auch Fortschritt geben kann. Dieses innere Spannungsverhältnis gibt es natürlich gerade auch im Strafrecht. Meine Zuneigung zu diesem Fach hat sich aber dann erst allmählich gefestigt.
Wofür brennen Sie bei Ihrer Arbeit?
Ich wünsche mir, dass die Studierenden an meiner eigenen Begeisterung für die Wissenschaft teilhaben können und sehen, bei welchen Fragen ich selbst anstoße und nicht mehr weiterkomme. Bei den Rechtswissenschaften und speziell im Strafrecht und Strafprozessrecht möchte ich außerdem zeigen, wie komplex und fragil das Recht sein kann. Es läuft immer Gefahr, aus den verschiedensten Interessenlagen heraus instrumentalisiert zu werden, aber die Situation ist trotzdem nicht hoffnunglos: Wenn man es vernünftig angeht und auch ein bisschen Glück hat, kann das Recht ein geeignetes Mittel zur gerechten Konfliktlösung und nachhaltigen Friedenssicherung sein.
Gibt es etwas, das Sie heute gut brauchen könnten, im Studium allerdings nicht gelernt haben?
Ja, da gäbe es viel – ich konnte zwar damals neben dem Jusstudium auch ein Musikstudium abschließen, aber ich hätte gern noch viele andere Sachen gelernt, z.B. Philosophie, Geschichte, Psychologie usw… und alles könnte ich heute gut brauchen. Nutzloses Wissen in dem Sinn gibt es ja nicht – jedes Mosaiksteinchen kann wertvoll sein, um die Welt besser zu verstehen.