Das Römische Recht hat als Inspiration für moderne Rechtsordnungen keinesfalls ausgedient - das weiß Land Steiermark Fellow Igor Adamczyk von der Universität Warschau. Er beschäftigt sich rechtsvergleichend mit dem Schuldner*innenschutz in verschiedenen nationalen Kontexten, ist vielsprachig beschlagen und auch um eine Unterhaltung über das Wetter in lateinischer Sprache nicht verlegen. Lesen Sie selbst und erfahren Sie unter anderem, warum man - historisch belegt - im Herbst besser nicht nach draußen gehen sollte:
Herr Adamczyk, Sie beschäftigen sich mit den historischen Wurzeln und den heutigen Ausprägungen des Schuldner*innenschutzes. Wovor gilt es den*die Schuldner*in eigentlich zu schützen?
Dies ist eine komplexe Frage. Erstens sollten wir uns überlegen, ob es überhaupt so etwas wie den Schuldnerschutz gibt. Die Römer beispielsweise haben nie einen systematischen, geregelten Schutz entwickelt. Dies bedeutet aber nicht, dass sie den Schuldnern gegenüber ganz gleichgültig waren. Es gab schon bestimmte Rechtsinstitute, die die Rechtslage der Schuldner verbesserten. Heutzutage sind solche Regelungen natürlich viel mehr ausgebaut, aber man kann am Beispiel des Schuldrechts nicht sagen, dass der Schuldner stets zu schützen oder sogar zu privilegieren sei. Man versucht, ein Gleichgewicht zwischen den Interessen sowohl des Schuldners als auch des Gläubigers zu finden. Ein gutes Beispiel für einen solchen Schutz ist die Leistungszeit zugunsten des Schuldners. Der Gläubiger darf vor deren Ablauf die Leistung nicht fordern, der Schuldner kann aber leisten. Der Schuldner wird auch im Exekutionsverfahren geschützt. Man führt die Exekution freilich im Interesse des Gläubigers durch; es darf aber nicht das ganze Vermögen des Schuldners weggenommen werden. Der Schuldner muss über ausreichende Mittel verfügen, die ihm das Überleben ermöglichen. Der Schuldner ist dann vor der übermäßigen Habgier der Gläubiger zu schützen. Gewisse Spuren eines solchen Schutzes kann man schon im römischen Recht finden.
Wieso sind manche Rechtsordnungen schuldner*innenfreundlicher als andere?
Das kann ich natürlich nur im Rahmen der von mir behandelten Rechtssysteme beurteilen. Ich beschäftigte mich mit dem österreichischen, französischen, deutschen, schweizerischen und polnischen Privatrecht. Alle diese Rechtssysteme kann man auf einen gemeinsamen Nenner bringen, nämlich auf das römische Recht. Es ist dieser Kreis an Rechtsordnungen, den man heutzutage civil law nennt – im Vergleich zum common law, also zu der angelsächsischen Rechtstradition, deren Wurzeln nicht im römischen Recht liegen. Allgemein würde ich sagen, dass sich die Behandlung des Schuldners in den Rechtssystemen im Prinzip nicht sehr unterscheidet. Natürlich muss man da ins Detail gehen. Nehmen wir beispielsweise die Konventionalstrafe und ihre Mäßigung. In § 1336 ABGB steht, dass die Konventionalstrafe vom Richter zu mäßigen ist, wenn sie vom Schuldner als übermäßig erwiesen wird. Im französischen Code Civil hat man so einen Tatbestand ursprünglich nicht vorgesehen. Dies liegt daran, dass der Code Civil sich viel mehr am Liberalismus und dem Prinzip pacta sunt servanda orientierte. Das hat sich auch geändert und seit den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts kann der Richter in Frankreich die Konventionalstrafe nicht nur mäßigen, sondern auch erhöhen, wenn sie „lächerlich“ niedrig ist.
Was können Forscher*innen, Rechtsprechung und Gesetzgebung in Sachen Schuldner*innenschutz auch heute noch vom römischen Recht (neu) lernen?
Viel! Das römische Recht ist stets eine endlose Quelle der Inspiration und zwar nicht nur wenn es um den Schuldnerschutz geht. Natürlich gilt seit über 200 Jahren das ABGB in Österreich und seit dem Inkrafttreten des BGB in Deutschland ist das römische Recht in Europa nicht mehr geltendes Recht. Die Zeit des gemeinen Rechts ist also längst vorbei. Allerdings spielt das römische Recht eine wichtige propädeutische Rolle bei der Juristenausbildung, was an den gemeinsamen Wurzeln unseres gegenwärtigen Privatrechts liegt. Außerdem können wir, da unsere europäische kontinentale Rechtstradition viel aus dem römischen Recht übernommen hat, dank dieser Erfahrung die Entwicklung und die heutige Gestalt bestimmter Rechtsinstitute untersuchen. Ich sehe auch viele Vorteile des römischen Rechts in der Rechtsvergleichung, v. a. dieser Rechtssysteme, die diese gemeinsamen Wurzeln im römischen Recht haben. Somit kann man die verwandten Rechtsinstitute vergleichen. Das römische Recht als tertium comparationis hat schon Ignacy von Koschembahr-Lyskowski vor über 100 Jahren erkannt. Übrigens war er auch eine interessante Persönlichkeit. Er war Pole, aber man kann ihn sowohl als polnischen, als auch als österreichischen Juristen bezeichnen. Seinen Beitrag über diese Methode kann man in der Festschrift zur Jahrhundertfeier des ABGB finden. Meiner Meinung nach können wir in der Rechtsvergleichung mithilfe des römischen Rechts noch viel erreichen.
Sie sprechen viele Sprachen sehr gut, aber könnten Sie sich auch in Latein über das Wetter unterhalten?
Da haben Sie mich überrascht! Es ist eine Herausforderung, aber ich nehme sie gern an. Ich erinnere mich gerade an ein Fragment von De Medicina, wo das herbstliche Wetter eine bestimmte Auswirkung auf die menschlichen Gewohnheiten hat. Celsus, der Autor dieses Werkes und diesmal nicht der bekannte Jurist Celsus, gab ein paar Ratschläge für die Herbstzeit: Per autumnum propter caeli varietatem periculum maximum est. Itaque neque sine veste neque sine calceamentis prodire oportet, praecipueque diebus frigidioribus, neque sub divo nocte dormire, aut certe bene operiri. Das könnte man auf Deutsch ungefähr so übersetzen: Im Herbst besteht wegen des Wetterwechsels die größte Gefahr. Daher ist es nicht gut, ins Freie zu gehen, es sei denn, man ist gut bedeckt und trägt dicke Schuhe, vor allem an den kälteren Tagen; auch sollte man nachts nicht im Freien schlafen und jedenfalls sollte man gut bedeckt sein.
Warschau, Bonn, Hamburg, Wien – Sie waren bereits viel unterwegs. Warum ist Graz definitiv schöner als die österreichische Hauptstadt?
Nicht nur schöner als Wien, sondern auch als alle anderen Städte, die Sie erwähnt haben. Ohne Schmäh! Vor allem sind es die Menschen, die hier so herzlich und gastfreundlich sind wie nirgendwo anders. Ich habe nur gute Erfahrungen mit Graz und ich meine es sehr ehrlich, weil ich mit 14 Jahren zum ersten Mal nach Graz gekommen bin. Zuerst nur für einen Deutschkurs, dann habe ich aber jedes Jahr 2-3 Wochen meiner Sommerferien bei meiner Gastfamilie und eigentlich – ich kann das ganz offen sagen – bei meinen Grazer Großeltern verbracht. Dieses Verhältnis zu Graz besteht also schon seit über 15 Jahren. Ich freue mich sehr, dass ich endlich auch wissenschaftlich in Graz tätig sein kann. Das wurde natürlich dank des Land Steiermark Fellowship ermöglicht. Ich wurde auch herzlich von allen Kolleg*innen an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät empfangen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar! Außerdem sind Graz als Stadt und die Steiermark als Ganze wunderschön. Die Antwort auf Ihre Frage ist also offensichtlich.